Nationalratswahl 2019: Zugänglichkeit der Wahlprogramme

Dr. Susanne Buchner-Sabathy evaulierte die Websites der wahlwerbenden Parteien im Hinblick auf deren Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen.

schwarz-weißes Bild, das ein verschlossenes Tor zeigt. Im Vordergrund die Ausfschrift "Nationalratswahl 2019: Zugänglichkeit der Wahlprogramme. Ein Test von Dr. Susanne Buchner-Sabathy"

Vor einer wichtigen Wahl wie der Nationalratswahl am 29. September sollte es im Interesse jeder politischen Partei liegen, möglichst viele Menschen über ihre Ziele zu informieren. Haben die wahlwerbenden Parteien ihre Webseiten so gestaltet, dass auch Menschen mit Behinderungen sie ungehindert lesen können?

Wenn Geldautomaten zu hoch angebracht sind, können Menschen im Rollstuhl sie nicht benutzen. Wenn Straßenbahnen hohe Stufen haben, können Menschen mit Kinderwagen dort nicht ohne Hilfe einsteigen. Auch auf Webseiten gibt es Hürden für Menschen mit Behinderungen.

Wie müssen Webseiten gestaltet sein, damit sie für möglichst viele Menschen barrierefrei nutzbar sind?

  • Ihre Inhalte müssen gut wahrnehmbar sein, auch für Menschen mit Farbfehlsichtigkeit oder für blinde Menschen, die zum Surfen im Internet ein „Screenreader-Programm“ verwenden, das die Seiteninhalte vorliest.
  • Links und Schaltflächen müssen sich auch ohne Maus aktivieren lassen.
  • Inhalte und Funktionsweise der Webseite müssen klar und verständlich sein.

Bilder

Wenn von „barrierefreiem Internet“ die Rede ist, denken viele Menschen zuerst an die Bildbeschreibungen, die man Fotos und Grafiken beifügen kann. Diese „Alternativ-Texte“ werden am Bildschirm angezeigt, wenn ein Bild nicht geladen werden kann, und sie werden von Screenreadern vorgelesen. Alle wahlwerbenden Parteien vermitteln ihre Botschaften auch mit Bildern und Fotos. Die Grünen nutzen die Möglichkeit des „Alternativtexts“, um Eindrücke und Gefühle  nicht nur optisch, sondern auch sprachlich zu vermitteln. Die Fotos der anderen Parteien haben entweder überhaupt keine Bildbeschreibung oder eine, die der optisch vermittelten Information nicht entspricht. Dies gilt auch für Grafiken, die Text anzeigen. Besonders unangenehm ist, wenn unzureichend beschriftete Grafiken als Links dienen und nicht-sehende Menschen nicht wissen, wohin der Link sie führt.

Überschriften

Aber es gibt neben Bildmaterial auch andere wichtige, optische Hinweise auf einer Webseite. So sind Überschriften optisch z.B. an größerer Schrift oder anderer Textfarbe erkennbar. Wenn für eine Webseite passende Formatvorlagen verwendet werden – ähnlich wie in MS Word -, können auch Screenreader-Nutzer*innen, wie sehende Menschen, die Überschriften zur raschen Orientierung nutzen. Bei ÖVP, SPÖ und Grünen gibt es Textstücke, die optisch als Überschriften oder Zwischenüberschriften erkennbar sind, die aber technisch nicht entsprechend gekennzeichnet und deshalb für nicht-sehende Menschen nicht als Überschriften erkennbar sind. NEOS präsentiert vier Schlüsselbegriffe, deren Anfangsbuchstaben den Parteinamen bilden. Als Überschrift ist technisch jeweils nur der Anfangsbuchstabe gekennzeichnet, wohingegen dieser optisch gemeinsam mit dem verlinkten Schlüsselbegriff als Überschrift dient. Liste Jetzt setzt für die  Präsentation der „12 Pläne“ Textgrafiken ein, die optisch klar die Funktionen von Überschriften haben. Sie sind technisch aber nicht entsprechend gekennzeichnet und die Bildbeschreibungen geben die Inhalte der Textgrafiken nur unvollständig wieder.

Schriftgröße und Kontrast

Für Menschen mit Sehbehinderung ist wichtig, dass die Schrift vergrößert werden kann und dass sich der Text klar vom Hintergrund abhebt. Diese Anforderungen sind weitgehend erfüllt.

Links und Eingabefelder

Viele Menschen nutzen die Computermaus, um Links oder Schaltflächen auf einer Webseite anzuklicken. Manche Menschen verwenden aber die TAB-Taste, um einen Link auszuwählen und die Eingabetaste, um den Link zu aktivieren. Sie tun das, weil sie ohne Griff zur Maus rascher arbeiten. Oder weil sie eine Sehnenscheidenentzündung haben und die Maus nicht bedienen können. Oder weil sie den Mauszeiger am Bildschirm nicht sehen können. Für sie alle ist es wichtig, dass Links mit Maus und mit Tastatur bedienbar sind. Dies ist erfreulicherweise auf allen getesteten Webseiten möglich. Bei jenen Parteien, die Wahlprogramme zum Download anbieten, können diese ohne Maus problemlos heruntergeladen werden. Auf der Webseite der Liste Jetzt kann die Suchfunktion allerdings nicht ohne Maus aktiviert werden und auf der Webseite von NEOS ist das Eingabefeld, in das Interessierte ihre E-Mail-Adresse eingeben können, mit Screenreader nicht auffindbar und ohne Maus nicht ausfüllbar.

Wenn sehende Menschen eine Webseite ohne Maus bedienen möchten – z.B. weil die Beweglichkeit ihrer Hände oder Finger eingeschränkt ist – so müssen sie am Bildschirm sehen, welchen Link sie gerade ausgewählt haben. Auf der Webseite der ÖVP ist weder mit Maus noch mit Tastatur erkennbar, welcher Link gerade ausgewählt ist. Auf den Webseiten der anderen Parteien verändern Menüpunkte und Schaltflächen zwar ihr Erscheinungsbild, wenn man mit dem Mauszeiger darüberfährt, aber nicht, wenn man sie mit der TAB-Taste auswählt.

Wahlprogramme im PDF-Format

SPÖ, NEOS, Grüne und Liste Jetzt bieten ihr Wahlprogramm bzw. ein Grundsatzpapier zum Download an. Damit Screenreader-Nutzer*innen Dokumente im PDF-Format gut lesen können, muss der Text die Strukturinformationen enthalten, die sehende Leser*innen durch das Layout erhalten. Die Grünen bieten als einzige wahlwerbende Partei ein PDF-Dokument an, in dem diese Strukturinformationen zumindest ansatzweise enthalten sind. Idealerweise werden die im Layout enthaltenen Strukturinformationen einfach bei der Erstellung des Dokuments eingebettet, sodass keine zusätzliche barrierefreie Version nötig ist.

Gebärdensprache

Keine der wahlwerbenden Parteien bietet ihre Wahlinformation in Gebärdensprache an. Für gehörlose Menschen wäre dies sehr wichtig, um gleichberechtigt am politischen Geschehen teilhaben zu können.

Einfache Sprache

NEOS und Grüne bieten als einzige ihre Programme auch in einfacher Sprache an. So ermöglichen sie Menschen politische Mitbestimmung, deren Verständnis komplexer Sprache aus unterschiedlichen Gründen eingeschränkt ist.

Zusammenfassung

Keine der getesteten Webseiten erfüllt die Basisanforderungen für barrierefreien Zugang. Das Ausmaß, in dem die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung respektiert werden, ist allerdings sehr unterschiedlich.

Zur Autorin

Dr. Susanne Buchner-Sabathy arbeitet mit Braille-Zeile am PC

Dr. Susanne Buchner-Sabathy, von Geburt an stark sehbehindert, vor 15 Jahren erblindet, Übersetzerin von Fachliteratur (Englisch, Französisch), Beraterin für digitale Barrierefreiheit, Work­shops für Kinder und Erwachsene zu: „Wie Blinde sehen“
www.sabathy.at

Die Expertin für Barrierefreiheit im Web (Web Accessibility), Dr. Susanne Buchner-Sabathy, hat für den Österreichischen Behindertenrat die Zugänglichkeit der Wahlprogramme analysiert, mit denen die politischen Parteien bei der Nationalratswahl am 29. September 2019 um die Stimmen von Wählerinnen und Wählern werben. Wir bedanken uns, dass wir die Ergebnisse der Recherche veröffentlichen dürfen.

Informationen über Barrierefreiheit im Web

Accessible Media

Barrierefreies Web – Internet-Zugang für alle

Web-Accessibility-Richtlinie

Web Accessibility Certificate Austria