Alemtuzumab

Alemtuzumab (Lemtrada®) ist seit 2013 zur Behandlung von Erwachsenen mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (RRMS) bei Nachweis einer Krankheitsaktivität im klinischen Befund oder in der Bildgebung zugelassen. Der gentechnisch hergestellte monoklonale Antikörper entfernt vorübergehend bestimmte weiße Blutkörperchen (B- und T-Lymphozyten) aus dem Blut, wobei dieser Effekt sehr lange andauert. 

Alemtuzumab zählt zu den sogenannten Immuntherapien der Multiplen Sklerose. Diese wurden unter der Vorstellung entwickelt, dass es sich bei MS vor allem um eine Erkrankung des Immunsystems handelt. Generell zielen Immuntherapien darauf ab, die Immunreaktionen teilweise zu unterdrücken. Die genaue Wirkungsweise bei MS ist jedoch nicht geklärt. Es wird vermutet, dass die langanhaltende Verminderung bestimmter weißer Blutkörperchen Grund für die Wirksamkeit ist.

Bei Alemtuzumab handelt es sich um einen humanisierten monoklonalen Antikörper, der im Blut und in Immunorganen an bestimmte weiße Blutkörperchen (vor allem  T-Lymphozyten und B-Lymphozyten und in geringem Ausmaß an Monozyten) bindet. Dadurch wird ein Anteil dieser Zellen, die für die körpereigene Abwehr, aber auch für Krankheiten wie beispielsweise MS verantwortlich sind, vorübergehend zerstört. Auch wenn die Effekte auf das Immunsystem lange anhalten, ist Alemtuzumab 30 bis 45 Tage nach der Infusion kaum oder nicht mehr im Blut nachweisbar.

Verabreichung

Alemtuzumab wird über einen Zeitraum von zwei Jahren in zwei Behandlungszyklen als intravenöse Infusion verabreicht.

Zu Beginn der Behandlung erhalten die Patientinnen und Patienten an fünf aufeinanderfolgenden Tagen je eine Infusion mit 12 mg Alemtuzumab. Nach 12 Monaten erhalten sie an drei aufeinanderfolgenden Tagen je eine Infusion mit 12 mg Alemtuzumab. Wegen neuer Krankheitsaktivität wird bei einem Drittel der Patientinnen und Patienten innerhalb von fünf Jahren eine dritte und bei 10 % eine vierte Behandlungsphase mit drei Infusionen an drei aufeinanderfolgenden Tagen notwendig.

Alemtuzumab reduziert die Schubrate und hält die Zunahme der Behinderung auf

Da Alemtuzumab das Immunsystem langfristig beeinflusst, muss das Medikament so selten verabreicht werden.

Einschränkung der Indikation, zusätzliche Gegenanzeigen und risikomindernde Maßnahmen

Im Zusammenhang mit Alemtuzumab können schwere, in Einzelfällen tödliche Nebenwirkungen auftreten. Daher wurde die Anwendung im Jänner 2020 eingeschränkt.

Lemtrada® ist angezeigt für die krankheitsmodifizierende Monotherapie bei Erwachsenen mit hochaktiver schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (RRMS) bei folgenden Patientinnen und Patientenengruppen:

  • Patientinnen und Patienten mit hochaktiver Erkrankung trotz vollständiger und angemessener Behandlung mit mindestens einer krankheitsmodifizierenden Therapie (DMT) oder
  • Patientinnen und Patienten mit rasch fortschreitender schwerer schubförmig-remittierender Multipler Sklerose, definiert durch zwei oder mehr Schübe mit Behinderungsprogression in einem Jahr, und mit einer oder mehr Gadolinium-anreichernden Läsionen in der MRT des Gehirns oder mit einer signifikanten Erhöhung der T2-Läsionen im Vergleich zu einer kürzlich durchgeführten MRT.

Zusätzliche Gegenanzeigen

  • schwere aktive Infektion, bis diese vollständig abgeklungen ist
  • unkontrollierte Hypertonie
  • Dissektionen zervikozephaler Arterien in der Anamnese
  • Schlaganfall in der Anamnese
  • Angina pectoris oder Myokardinfarkt in der Anamnese
  • Koagulopathie, unter Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulanzien
  • bestehende Autoimmunerkrankungen, außer MS

 

  • Die Anwendung von Lemtrada® sollte ausschließlich in einem Krankenhaus mit der Möglichkeit intensivmedizinischer Behandlung erfolgen, da schwerwiegende Nebenwirkungen wie Myokardischämie oder Myokardinfarkt, zerebrale Blutungen oder pulmonale Blutungen, während oder kurz nach der Infusion auftreten können.
  • Patientinnen und Patienten sollten sorgfältig überwacht und angehalten werden, ihren Arzt zu kontaktieren, falls Anzeichen oder Symptome schwerwiegender Reaktionen kurz nach der Infusion auftreten.
  • Patientinnen und Patienten sollten für mindestens 48 Monate nach der letzten Infusion auf Autoimmunerkrankungen überwacht werden und darauf hingewiesen werden, dass diese Erkrankungen auch mehr als 48 Monate nach der letzten Infusion auftreten können.

Hintergrundinformationen

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, kurz: EMA) hat das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Lemtrada® überprüft, auf Grund von Berichten über schwerwiegende Nebenwirkungen mit in Einzelfällen tödlichem Ausgang nach der Markteinführung. Die bestehenden Maßnahmen zur Risikominimierung reichten für das Management dieser Risiken nicht aus.

Die EMA ist zu dem Schluss gekommen, dass Myokardischämie, Myokardinfarkt, Hirnblutung, Dissektionen zervikozephaler Arterien, pulmonale alveoläre Blutungen und Thrombozytopenie, selten in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer Lemtrada®-Infusion auftreten können. In vielen Fällen war der Beginn der Reaktionen innerhalb weniger Tage nach der Infusion und die Patienten hatten keine klassischen Risikofaktoren für die Ereignisse.

Ein kausaler Zusammenhang mit Lemtrada® wird auch für autoimmune Hepatitis, Hämophilie A und hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH) vermutet. HLH ist ein lebensbedrohliches Syndrom einer pathologischen Immunaktivierung, welches durch Symptome wie Fieber, Hepatomegalie und Zytopenien gekennzeichnet ist. Es ist mit einer hohen Sterblichkeit verbunden, wenn es nicht frühzeitig erkannt und behandelt wird.

Autoimmunerkrankungen treten innerhalb von Monaten bis Jahren nach Beginn der Lemtrada®-Behandlung auf. Klinische Untersuchungen und Laboruntersuchungen sollten in regelmäßigen Abständen bis mindestens 48 Monate nach der letzten Lemtrada®-Behandlungsphase durchgeführt werden, um auf frühe Anzeichen von Autoimmunerkrankungen zu überwachen. Patienten, die Autoimmunität entwickeln, sollten auf andere autoimmunvermittelte Erkrankungen untersucht werden. Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte sollten sich bewusst sein, dass Autoimmunerkrankungen auch später als 48 Monate nach der letzten Lemtrada®-Behandlung auftreten können.
Fälle einer Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus (EBV), einschließlich schwerer EBV-Hepatitis-Fälle wurden bei Patienten berichtet, die mit Lemtrada® behandelten wurden.

Die Überprüfung der EMA kam, wie in der oben stehenden Zusammenfassung beschrieben, zu dem Ergebnis, dass die Indikation von Lemtrada® eingeschränkt, zusätzliche Gegenanzeigen aufgenommen und weitere Maßnahmen zur Risikominimierung eingeführt werden müssen.

Die Einleitung und Überwachung der Behandlung mit Lemtrada® sollte ausschließlich durch einen in der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose (MS) erfahrenen Neurologinnen und Neurologen in einem Krankenhaus mit der Möglichkeit sofortiger intensivmedizinischer Behandlung erfolgen. Es sollten zudem Spezialistinneun und Spezialisten und Ausrüstung zur Verfügung stehen, die geeignet sind, Nebenwirkungen, insbesondere Myokardischämie und Myokardinfarkt, zerebrovaskuläre Nebenwirkungen, Autoimmunerkrankungen und Infektionen, rechtzeitig zu erkennen und zu beherrschen.

Die folgenden Anweisungen zur Infusion dienen zur Verringerung des Risikos schwerwiegender Reaktionen, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer Lemtrada®-Infusion stehen:

  • Untersuchungen vor der Infusion:
    o Vor Infusionsbeginn ein Elektrokardiogramm (EKG) durchführen und Vitalparameter bestimmen, einschließlich Herzfrequenz und Blutdruckmessung.
    o Laboruntersuchungen durchführen (großes Blutbild mit Differentialblutbild, Serumtransaminasen, Serumkreatinin, Schilddrüsenfunktionstest und Urinanalyse mit Mikroskopie).
  • Während der Infusion:
    o Durchführung von kontinuierlicher/regelmäßiger (mindestens einmal pro Stunde) Überwachung der Herzfrequenz, des Blutdrucks und des allgemeinen klinischen Status der Patienten
    o Abbruch der Infusion
  • Im Falle eines schweren unerwünschten Ereignisses
  • Wenn die Patientin/der Patient klinische Symptome zeigt, die auf die Entwicklung eines schwerwiegenden unerwünschten Ereignisses im Zusammenhang mit der Infusion hindeuten (Myokardischämie, hämorrhagischer Schlaganfall, Dissektionen zervikozephaler Arterien oder pulmonale alveoläre Blutung)
  • Nach der Infusion:
    o Die Kontrolle auf Infusionsreaktionen wird für mindestens 2 Stunden nach der Lemtrada®-Infusion empfohlen. Patientinnen und Patienten mit klinischen Symptomen, die auf die Entwicklung eines schwerwiegenden unerwünschten Ereignisses hindeuten, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Infusion stehen (Myokardischämie, hämorrhagischer Schlaganfall, Dissektionen zervikozephaler Arterien oder pulmonale alveoläre Blutung), sollten bis zum vollständigen Abklingen der Symptome engmaschig überwacht werden. Die Beobachtungszeit (Krankenhausaufenthalt) sollte angemessen verlängert
    werden. Patientinnen und Patienten sollten über das möglicherweise verzögerte Einsetzen von infusionsbedingten Reaktionen informiert und dazu aufgefordert werden, Symptome zu melden und umgehend eine Ärztin/einen Arzt zu konsultieren.
  • Die Thrombozytenzahl sollte unmittelbar im Anschluss an die Infusion an Tag 3 und 5 der ersten Behandlungsphase sowie unmittelbar im Anschluss an die Infusion an Tag 3 jeder folgenden Behandlungsphase bestimmt werden. Eine klinisch signifikante Thrombozytopenie muss bis zu ihrem Abklingen überwacht werden. Zur Behandlung sollte eine Überweisung an eine Hämatologin/einen Hämatologen in Betracht gezogen werden.

Diese Maßnahmen werden in die Produktinformationstexte von Lemtrada® aufgenommen. Der Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte sowie jener für Patientinnen und Patienten werden ebenfalls aktualisiert.

Quelle: European Medicines Agency, Kompetenznetz Multiple Sklerose, Novartis, Rote-Hand-Brief zu Lemtrada® (Alemtuzumab) vom Jänner 2020

Patientinnen- und Patientenkarte Teriflunomid (PDF)