Seelische Auswirkungen und Krankheitsbewältigung

Die Psyche hat einen entscheidenden Einfluss auf die Krankheitsverarbeitung. In der Psyche liegt deshalb auch der Schlüssel für das Finden einer guten Lebensqualität trotz der Erkrankung.

Die Diagnose

Viele Menschen mit MS sind zum Zeitpunkt der Diagnose gerade erst dabei, ihr Leben zu planen und sich beruflich zu orientieren. Es ist nur allzu verständlich, dass die plötzliche Gewissheit, MS zu haben, Unsicherheiten, Ängste und Probleme auslösen kann. Es braucht Zeit und unterstützende Gespräche, um mit dieser unerwarteten, veränderten Lebenssituation fertig zu werden.

Durch die Herausforderungen der Erkrankung, die Betroffene in unterschiedlichem Ausmaß durch ihr Leben begleiten, scheinen viele Lebenspläne in Frage gestellt. Die Vielfalt möglicher Symptome und die Schwierigkeit, eine klare Prognose über den Krankheitsverlauf zu stellen, können zusätzlich verunsichern. Oft jedoch beeinträchtigen Ängste und Unsicherheiten vor möglichen Herausforderungen die Lebensqualität mehr, als es die aktuell vorhandenen MS Symptome tun.

Reaktion auf die Diagnose

Wenn die Diagnose MS mitgeteilt wird, haben viele Betroffene bereits eine Zeit der Verunsicherung und Ungewissheit hinter sich. Sie waren konfrontiert mit verschiedenen Störungen von Körperfunktionen, die für sie unerklärlich und ihrer Umwelt oft nur schwer vermittelbar waren. Durch die modernen diagnostischen Möglichkeiten kann diese Phase heute bereits deutlich verkürzt werden. Dies hat einerseits den Vorteil, dass man schneller Gewissheit bekommt und rascher beginnen kann, sich auf die Erkrankung einzustellen. Andererseits hat man weniger Zeit, sich mit dem Gedanken an eine schwerwiegende Erkrankung vertraut zu machen – und der Schock ist dadurch manchmal größer.

Unsere Seele reagiert sowohl auf tatsächliche als auch auf befürchtete MS-bedingte körperliche und soziale Beeinträchtigungen. Auf welche Art und Weise diese Reaktion stattfindet, hängt von verschiedenen Faktoren ab – so etwa von der Persönlichkeit, dem Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens und dem Verlauf der Erkrankung, aber auch von der individuellen familiären, beruflichen und sozialen Situation. Die Reaktion wird deshalb auch bei jedem Menschen unterschiedlich sein. Normal ist auch, dass man mit Veränderungen nicht immer gleich gut zurecht kommt und vorübergehend Gefühle wie beispielsweise Unsicherheit, Verzweiflung, Depression, Wut, Angst oder Trauer verspürt. So kann es sein, dass man es nach der Diagnosestellung geschafft hat, sich auf die Erkrankung einzustellen, mit den damit verbundenen Gefühlen umzugehen und gut damit zu leben, ein nächster Schub aber wieder verunsichert und eine erneute seelische Auseinandersetzung erforderlich wird.

Phasen der Bewältigung

Das Erfassen der Diagnose und ihrer Bedeutung sowie die Bewältigung und Anpassung daran sind ein lange andauernder Prozess, der verschiedene Phasen durchlaufen kann.

Die häufigsten Reaktionen bei Diagnosestellung sind Schock und Verleugnung, d.h. Nicht-Wahrhaben-Wollen der Erkrankung. Manche Betroffene wollen sich nicht mit ihrem Schicksal abfinden und suchen verzweifelt nach Alternativen. Sie fragen sich, warum gerade sie diese Erkrankung bekommen haben oder welche lebensgeschichtlichen Ursachen es dafür geben könnte. Manche haben Schuldgefühle und befürchten, Multiple Sklerose als Strafe bekommen zu haben. Eine Phase des Zorns, der Wut oder der Angst kann folgen.

Sehr viele Betroffene durchlaufen auch eine Phase der Depression. Man fühlt sich möglicherweise traurig und bedrückt oder vielleicht gereizt und hoffnungslos. Manche fühlen sich ständig erschöpft und müde. Sie haben zu nichts mehr Lust, nichts macht mehr Freude. In dieser Phase ist es besonders wichtig, sich jemandem anzuvertrauen und bei Bedarf die Hilfe von Fachleuten in Anspruch zu nehmen.

Nach einer Zeit des Rückzugs und der Trauer beginnt bei vielen Menschen ein Akzeptieren der Tatsache, erkrankt zu sein. Das ermöglicht Betroffenen, sich nun aktiv damit auseinanderzusetzen, Wege zu einem sinnvollen, befriedigenden Leben zu suchen und neue Lebenspläne zu schmieden. Tatsache ist, dass dieses Akzeptieren bestimmt keine einmalige Sache ist, sondern mit jedem Schub oder jeder Verschlechterung erneut notwendig werden kann.

Die Rolle der Psyche

Nach dem aktuellen Wissensstand handelt es sich bei der Multiplen Sklerose vermutlich um eine Autoimmunerkrankung. Untersucht wird, ob und in welcher Weise die Psyche bei der Verursachung und Aufrechterhaltung solcher Erkrankungen eine Rolle spielt. Von Interesse ist außerdem, welche psychischen Behandlungsmöglichkeiten zusätzlich zur medizinischen Behandlung hilfreich und erfolgreich sein können.

Das, was man bisher sicher weiß und was auch die Erfahrung der MS-Gesellschaft Wien zeigt, ist die Bedeutung der Psyche bei der Krankheitsverarbeitung. Das heißt, sie hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie jemand auf die MS reagiert, wie er oder sie damit umgeht und lebt. In der Psyche liegt deshalb auch der Schlüssel für das Finden einer guten Lebensqualität trotz der Erkrankung.

Psychotherapie

Psychologische Beratung und Psychotherapie kann MS nicht heilen, aber abgesehen davon sehr viel für betroffene Menschen tun: Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung, Begleitung durch schwierige Zeiten, wenn man den Eindruck hat, gefühlsmäßig nicht mehr alleine zurechtzukommen. Sie ist eine Stütze bei jeder Veränderung oder Verunsicherung durch einen Schub oder eine Symptomverschlechterung. Besonders bei bleibenden Beeinträchtigungen ist es wichtig, mit den eigenen Gefühlen (wie z.B. Trauer, Wut, Verzweiflung) nicht alleine zu sein und Unterstützung bei der Anpassung an die neue Situation zu haben.

Was Psychotherapie noch alles für Betroffene tun kann und wie und wo man den geeigneten Therapeuten findet, ist in der Broschüre MS und Psyche. Krankheitsverarbeitung bei Multipler Sklerose nachzulesen. Ein Download dieser Broschüre finden Sie nachstehend. Sie kann auch kostenlos bei der MS-Gesellschaft Wien angefordert werden.

Die MS-Gesellschaft Wien bietet auch kostenlose Psychotherapie für MS-Betroffene in Wien an.