Arbeit und Bildung: Zentrale Themen für Menschen mit Behinderung

Dr. Hansjörg Hofer © Dr. Hansjörg Hofer

Dr. Hansjörg Hofer

Der Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen, Dr. Hansjörg Hofer,  fordert im jüngsten Tätigkeitsbericht der Behindertenanwaltschaft arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Senkung der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderungen.

Im Bericht des Anwalts für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung über die Tätigkeit im Jahr 2018 wird die Forderung nach einem Anreizsystem für Arbeitgeberinnen und Arbeitsgeber laut, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen – etwa mittels befristeter Übernahme eines Teils der Lohnnebenkosten. Wichtig bei der Umsetzung dieser und anderer Anliegen ist Hofer zufolge, dass sie „von allen gemeinsam verfochten werden“. Nur dann seien die Forderungen effektiv durchzusetzen, wie sich bei der Implementierung des Erwachsenenschutzgesetzes 2018 gezeigt habe, so Hofer.

Die Behindertenanwaltschaft fokussiert neben der Vernetzung mit Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung vor allem auf die Beratung und Unterstützung von Menschen, die sich entweder im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes oder des Behinderteneinstellungsgesetzes diskriminiert fühlen. Eine gebührenfreie Hotline, ein digitales Postfach und Sprechtage ermöglichen Klientinnen und Klienten einen niederschwelligen Zugang zu fachlicher Hilfestellung. Laut Bericht protokollierte die Behindertenanwaltschaft 2018 insgesamt 644 Akten über Sachverhalte, die Menschen mit Behinderungen, deren Angehörige, Selbsthilfegruppen und Interessensvertretungen an sie herantrugen.

Thematisch an Spitze lag bei den von der Behindertenanwaltschaft angelegten Akten mit 88 Fällen das Thema Arbeitswelt. Weitere Schwerpunktbereiche waren Bildung, Barrierefreiheit und Wohnen. Zu diesen komplexeren, verakteten Anliegen traten noch 554 telefonische Beratungen und 40 Schlichtungsverfahren, bei denen die Behindertenanwaltschaft als Vertrauensperson teilnahm.

Individuelle Arbeitsvermittlung sicherstellen

Die Gespräche mit Betroffenen verdeutlichen laufend Schwachstellen in der Gesetzgebung des Bundes und der Länder, heißt es aus der Behindertenanwaltschaft, die daher entsprechende Änderungen anregt. Hinsichtlich Arbeit und Beschäftigung sei unter anderem zu gewährleisten, dass Arbeitssuchende mit Behinderungen oder gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen unabhängig vom computergestützten Arbeitsvermittlungssystem PAMAS individuell durch adäquate Maßnahmen gefördert und vermittelt werden. Weiters seien die Kriterien für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit neu zu fassen, und zwar mit Bedacht auf das Lebensalter, um auch schwer beeinträchtigten Menschen den Zugang zu Leistungen und Unterstützungsangeboten zu sichern. Generell fordert der Behindertenanwalt eine schrittweise Verbreiterung der von der Beschäftigungspflicht umfassten Arbeitgeber.

Inklusive Bildung ermöglichen

Im Bildungsbereich vermisst die Behindertenanwaltschaft ein konkretes, zeitlich festgelegtes Ziel der inklusiven Beschulung für alle Kinder und Jugendliche mit Behinderung. In diesem Zusammenhang müssten außerdem die Ressourcen für sonderpädagogischen Förderbedarf dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden und den Lehrkräften bei ihrer Aus- und Weiterbildung das Thema Inklusion nähergebracht werden, ebenso wie die Gebärdensprache als Unterrichtssprache. Ausgeweitet gehörten zudem inklusive Angebote bereits in der Elementarpädagogik ab dem 1. Lebensjahr eines Kindes, drängt die Behindertenanwaltschaft.

Am Programm der abgetretenen ÖVP-FPÖ-Regierung wird im Bericht das Bekenntnis gelobt, den Bereich Arbeit sowie Schulbildung und Wiederqualifizierung für Menschen mit Behinderung auf ein höheres Niveau zu bringen, beispielsweise durch die Förderung der Übertrittsmöglichkeiten von Personen aus Beschäftigungstherapieeinrichtungen in den Arbeitsmarkt. Äußerst kritisch sieht die Behindertenanwaltschaft allerdings das Vorhaben der ehemaligen Regierung, das Sonderschulwesen zu erhalten und zu stärken, anstatt die Inklusion von SchülerInnen mit besonderem Förderbedarf im Regelschulwesen voranzutreiben. Eingemahnt wird außerdem, die in Tageswerkstätten geleistete Arbeit mit der Auszahlung von Entgelten – und nicht wie bislang mit Taschengeld – zu entlohnen. Eine Vollversicherung in der Sozialversicherung sollte dabei den Erwerb von Anwartschaften auf eine Eigenpension ermöglichen.

Barrierefreiheit ausweiten

„Immer noch sehr viel zu tun“ bleibt den Berichtsverfasserinnen und -verfassern zufolge bei der Sicherstellung umfassender Barrierefreiheit des öffentlichen Raums, wie es das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz verlangt. Obwohl die gesetzliche Frist zur Beseitigung baulicher Barrieren in öffentlichen Gebäuden sowie im öffentlichen Verkehr mit 31. Dezember 2015 abgelaufen ist, sei man noch weit vom Ziel eines barrierefreien Zusammenlebens entfernt. Aus diesem Grund müsse in den einschlägigen Ausbildungsvorschriften in den Bereichen Bau, Verkehr und Medien „Barrierefreiheit“ als Pflichtinhalt verankert werden. Wohnbauförderung solle es nur für barrierefrei geplante und umgesetzte Bauprojekte geben, lautet eine weitere Forderung der Behindertenanwaltschaft. Immerhin stehe man angesichts der demografischen Entwicklung vor einem immer größer werdenden Bedarf an Barrierefreiheit.

Sozialrecht adaptieren

Von mehreren Anpassungen im Sozialrecht, die seitens der Behindertenanwaltschaft gefordert werden, implementierte der Nationalrat im Juli 2019 jene, die auf die regelmäßige Valorisierung des Pflegegelds abzielt. Noch nicht umgesetzt wurden dagegen unter anderem die Forderungen nach Persönlicher Assistenz in allen Lebensbereichen, nach Förderung der Ersatzpflege von Angehörigen auch bei Kurzzeit-Verhinderung und nach Schaffung eines Inklusionsfonds nach dem Vorbild des Pflegefonds. Wichtig ist der Anlaufstelle für Menschen mit Behinderung überdies, dass Pflegegeld und Familienbeihilfe bei anderen Sozialleistungen wie der Sozialhilfe (ehemals bedarfsorientierte Mindestsicherung) nicht als Einkommen angerechnet werden.

Zusammenfassung: Anregungen des Behindertenanwalts

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Folgende Anregungen finden sich in den vergangenen Tätigkeitsberichten des Behindertenanwalts und wurden bis zur Fertigstellung dieses Berichtes für das Jahr 2018 noch nicht umgesetzt:

Behindertengleichstellungsrecht

  • Konsequenter Ausbau der Partizipation von Menschen mit Behinderungen hin-sichtlich aller Regelungen und Entscheidungen, die sie betreffe
  • Durchführung von Sensibilisierungskampagnen hinsichtlich des Paradigmenwechsels in der Behindertenpolitik
  • Abbau von Klischees, Vorurteilen und Stereotypengegenüber Menschen mit Behinderungen
  • Verbesserung des Datenmaterials über Menschen mit Behinderungen(insbesondere hinsichtlich Arbeitslosigkeit, sozialer Lage, Gesundheit und Teilhabe) durch Vergabe entsprechender Studien
  • Klarstellung, dass die Bestimmungen des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes nicht nur bei der Begründung, sondern auch auf bestehende Mietverhältnisse anzuwenden sind und Schaffung einer Norm zur Herstellung eines Anrechts auf den barrierefreien Zugang zur Wohnung umfassen, einschließlich erleichtern-der Vorschriften zum Errichtung von Aufzügen sowie adäquaten Kostenverteilungsregelungen für Errichtungs-, Wartungs-und Betriebskosten bei objektiviertem Bedarf einer Mieterin/eines Mieters

Arbeit und Beschäftigung

  • Gewährleistung, dass Arbeitssuchende mit Behinderungen oder gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen unabhängig vomcomputergestützten Arbeitsvermittlungssystem PAMAS individuell durch adäquate Maßnahmen gefördert und vermittelt werden
  • Verankerung spezifischer arbeitsmarktpolitischer Vorgaben und Mittel des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen in der Zielarchitektur des Arbeitsmarktservice nachhaltig und parallel zur generellen Arbeitslosenquote zu reduzieren
  • Neufassung der Kriterien für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit – Unterscheidung zwischen jüngeren Menschen mit Behinderungen (bis zum 24. Lebensjahr) und älteren Menschen – im Bereich des Arbeitsmarktservice und des Sozialministeriumservice, um auch schwer beeinträchtigten Menschen den Zugang zu den Leistungen und Unterstützungsangeboten zu sichern; Einführung einer mindestens 2-jährigen Arbeitserprobung für jüngere Menschen mit Behinderungen, bevor die Arbeits(un)fähigkeit festgestellt werden darf
  • Ausgestaltung eines Anreizsystems für Arbeitgeber, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen; Förderung dieser Arbeitgeber in Form befristeter Übernahme eines Teils der Lohnnebenkosten; schrittweise Verbreiterung der von der Beschäftigungspflicht umfassten Arbeitgeber
  • Einführung der Vollversicherung in der Sozialversicherung für eine Tätigkeit in den Einrichtungen der Tagesstruktur (Beschäftigungstherapie), um den Erwerb von Anwartschaften auf eine Eigenpension zu ermöglichen Schrittweise Ersetzung des Taschengeldes durch Entgeltanspruch bei Tätigkeit in diesen EinrichtungenAufnahme einer § 11c B-GlBG entsprechenden Bestimmung zur Bevorzugung behinderter Menschen bei Einstellung, Weiterbildung und beruflichem Aufstieg im Bundesdienst
  • Erreichung eines höheren Anteils an Menschen mit Behinderungen bei der Vergabe von Tabaktrafiken

Bildung

  • Ausbau inklusiver Kinderbetreuungseinrichtungen ab dem ersten Lebensjahr
  • Festlegung eines konkreten Ziels der inklusiven Beschulung für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen samt einem stringenten Zeitplan
  • Anpassung der Ressourcen für sonderpädagogischen Förderbedarf auf den tat-sächlichen Bedarf
  • Maßnahmen zur Sensibilisierung für Inklusion im Bereich der Aus-und Weiterbildung der Lehrkräfte
  • Einführung der Gebärdensprache als (zumindest optionale) Unterrichtssprache in Aus-und Weiterbildung

Barrierefreiheit

  • Verankerung eines Pflichtinhaltes „Barrierefreiheit“ in den einschlägigen Ausbildungsvorschriften in den Bereichen Bau, Verkehr, Medien
  • Vergabe von Wohnbauförderungen nur bei einer barrierefreien Planung und Um-setzung im Sinne der einschlägigen Ö-Normen
  • Keine Aufweichung der OIB Richtlinie 4: Wieder Normierung eines Verweises auf die Ö-Norm B 1600

Gesundheitsrecht

  • Flächendeckende Einführung und Verwendung von verständlicher Leichter Sprache im gesamten Gesundheitssystem; verstärktes Informationsmaterial in Leichter Sprache und ihre Verwendung in Arztbriefen und bei Gesprächen mit Patientinnen und Patienten

Sozialrecht

  • Vereinheitlichter Zugang zur Persönlichen Assistenz in allen Lebensbereichen
  • Familienbeihilfe (inklusive Erhöhungsbetrag) und Pflegegelddürfen bei anderen Sozialleistungen (insbesondere bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung/Sozialhilfe) nicht als Einkommen angerechnet werden
  • Sicherstellung des Zuganges von Menschen mit psychischer und Lernbehinderung zu Heilverfahren der Sozialversicherungsträge
  • Förderung der Ersatzpflege von Angehörigen auch bei Kurzzeit-Verhinderung
  • Ausweitung der Unterstützung pflegender Angehöriger
  • Schaffung eines Inklusionsfonds nach dem Vorbild des Pflegefond
  • Regelmäßige Valorisierung des Pflegegeldes

Steuerrecht

  • Valorisierung der im Einkommensteuergesetz seit 1988 unveränderten Freibeträge für Menschen mit Behinderungen; Umgestaltung in Absetzbeträge zur Erhöhung der Treffsicherheit für Menschen mit geringeren Einkommen

Strafrecht

  • Neuregelung des Schwangerschaftsspätabbruchs unter Beibehaltung der allgemeinen Fristenlösung, Streichung der embryopathischen Indikation und deutlichem Ausbau von Unterstützungsstrukturen für Familien mit Kindern mit Behinderungen

Straßenverkehr

  • Entfall der mit der Verlängerung einer befristeten Lenkberechtigung verbundenen Gebühren
  • Berücksichtigung der Bedarfe von Menschen mit Behinderungen bei E-bzw. autonomen Fahrzeugen

Bericht des Anwalts für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung über die Tätigkeit im Jahr 2018 (PDF)

Quelle: Behindertenanwalt, Parlamentskorrespondenz