Gesundheitsausschuss diskutierte über medizinischen Einsatz von Cannabis

Gesundheitsausschuss diskutierte über Einsatz von medizinischem Cannabis

Am 19. März wurde der Bericht über den therapeutischen Einsatz von Cannabis im Gesundheitsausschuss mit den Stimmen der Regierungsparteien mehrheitlich zur Kenntnis genommen.

Wie bereits berichtet, enthält der am 28. Dezember 2018 vom Gesundheitsausschuss beauftragte Bericht über zukünftige medizinische, rechtliche, organisatorische und ökonomische Rahmenbedingungen zum Einsatz von cannabishaltigen Arzneimitteln die Stellungnahmen des Obersten Sanitätsrates (darin u.a. vertreten die Österreichische Ärztekammer und die Österreichische Apothekerkammer sowie der Hauptverband der Sozialversicherungsträger), der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES), der österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und dem Vorstand der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerzmedizin an der MedUni Wien, Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress.

Der Bericht wurde im Gesundheitsausschuss mit den Stimmen der Regierungsparteien mehrheitlich zur Kenntnis genommen.

Der Oberste Sanitätsrat erkennt keine wissenschaftliche Evidenz für die Verschreibung von Cannabisblüten, die Opposition kritisierte den Bericht stark. Mittels FPÖ-ÖVP-Entschließung werden nun der Hauptverband der Sozialversicherungsträger und die Krankenversicherungsträger aufgefordert, die Verschreibepraxis cannabinoidhaltiger Arzneimittel zu evaluieren.

Laut Bericht keine wissenschaftliche Evidenz für die Verschreibung von Cannabidiol (CBD)

Basierend auf einer bei der Nationalratssitzung vom 5. Juli 2018 einstimmig angenommen Entschließung hat Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein am 19.März den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses einen Bericht betreffend die Liberalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken (III-233 d.B.) präsentiert. Darin werden nicht nur die damit verbundenen medizinischen, rechtlichen, organisatorischen und ökonomischen Aspekte näher beleuchtet, sondern auch die Ergebnisse des vom Gesundheitsausschuss durchgeführten Begutachtungsverfahrens sowie Erfahrungen in anderen europäischen Ländern, vor allem in Deutschland, miteinbezogen. Stellungnahmen wurden vom Obersten Sanitätsrat, der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), der Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) sowie von Universitätsprofessor Hans Georg Kress eingeholt. SPÖ und JETZT befanden den Bericht als unzureichend.

Generell wird im Bericht festgestellt, dass die österreichischen Patientinnen und Patienten bereits nach geltender Rechtslage Zugang zu cannabisbasierten Arzneimitteln haben, und zwar entweder in Form von magistralen Zubereitungen oder auch als Fertigarzneimittel (Sativex und Canemes).

Dronabinol (THC), das in der Schmerztherapie zur Anwendung kommt und dem Suchtmittelgesetz unterliegt, könne etwa in Form von Tropfen oder Kapseln verschrieben werden.

Eine Erstattung der Kosten ist bei Vorliegen einer medizinischen Begründung und Genehmigung durch die jeweilige Kontrollärztin bzw. den jeweiligen Kontrollarzt der Krankenkasse möglich.

Cannabidiol (CBD) wiederum, das nicht zu den Suchtgiften zählt, wurde nicht in den Erstattungskodex aufgenommen, da kein ausreichender Wirkungsnachweis vorliegt.

Als Auskunftsperson in den Ausschuss war der Rektor der Medizinischen Universität Wien, Markus Müller, in seiner Rolle als Präsident des Obersten Sanitätsrats, einem Beratungsgremium des Gesundheitsministeriums, geladen. Was den Einsatz von Medizinalhanf (getrocknete Blüten- oder Fruchtstände der Cannabispflanze) angeht, so gibt es ihm zufolge keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz dafür, dass dieser Vorteile gegenüber der Verwendung der bereits zur Verfügung stehenden cannabisbasierten Präparaten ht. Reinsubstanzen sei der Vorzug zu geben, da diese in bedarfsgerechter exakter und reproduzierbarer Dosierung verabreicht werden können. Generell sei das Wissen über die sinnvolle medizinische Anwendung von Cannabinoiden noch sehr lückenhaft, sagte Müller.

Gute Evidenz: Spastizität bei Multipler Sklerose

Eine ausreichend gute Evidenz gebe es laut Bericht nur bei chronischen Schmerzen bei Erwachsenen, chemotherapie-induzierter Übelkeit sowie bei Spastizität bei Multipler Sklerose.

Weitere klinische Forschungen nach modernen evidenzbasierten Richtlinien wären daher zu begrüßen. Da auch SPÖ und JETZT die Durchführung vertiefender Studien zur Wirksamkeit von Cannabidiol (CBD) forderten, betonte Müller, dass diesbezügliche Forschungen aufgrund des Zulassungsverfahrens von den Antragstellern – also der Pharmaindustrie – durchgeführt werden müssten. Auch die Leiterin der AGES Medizinmarktaufsicht, Christa Wirthumer-Hoche, nahm auf Ersuchen der Gesundheitsministerin eine diesbezügliche Klarstellung vor. Sie betonte, dass in Österreich sehr strenge Vorschriften für die Zulassung von Arzneimitteln in Hinblick auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit gelten.

Der Präsident des Obersten Sanitätsrats bemühte sich außerdem um eine grundlegende Konkretisierung zum Thema Cannabis, da seines Erachtens in der öffentlichen Debatte mehrere Aspekte vermischt würden. Müller beschrieb drei Ebenen der Betrachtung. Erstens, die Diskussion rund um die Freigabe von Cannabis als Droge und um das Suchtgift Dronabinol (THC). Zweitens, Geschäftsentwicklungen und Geschäftsinteressen rund um den zweiten Wirkstoff Cannabidiol (CBD), und Drittens, die medizinischen Indikationen für Bestandteile von Cannabis, wozu im gegenständlichen Bericht Stellung bezogen wurde.

Müller riet davon ab, die eigentliche Arzneimittelfrage zu einer politischen Frage zu machen, da man über den Wirkstoff Cannabidiol (CBD) noch zu wenig wisse. Aufgrund der hohen Standards und der hohen Qualität der Arzneimittelzulassung in Österreich sehe er keinen Grund, von der derzeitigen Praxis abzugehen. Er selbst habe durch die von der Gesundheitsministerin beauftragte Stellungnahme – in die alle relevanten Stakeholder involviert wurden – lediglich versucht, zur Faktenlage beizutragen. Wie man damit nun politisch umgehe, sei eine andere Frage, betonte er.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein betonte, dass es ihr bei cannabisbasierten Produkten und Arzneimitteln nicht um Ideologie sondern um die Sicherheit der Menschen in Österreich gehe. Sie teile daher die Einschätzung der Expertinnen und Experten und bekräftigte ihre Entscheidung, das wissenschaftliche Gremium des Obersten Sanitätsrats mit der Berichterstellung beauftragt zu haben. Auch die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Brigitte Povysil (FPÖ) rechtfertigte die Einsetzung dieses Gremiums.

Opposition nahm Bericht nicht zur Kenntnis

Die Opposition hatte die Qualität des Berichts in mehrfacher Hinsicht kritisiert. NEOS-Mandatar Gerald Loacker empfand, dass der Bericht die verschiedenen Ebenen der Betrachtung nicht unterscheide und die Inhaltsstoffe THC und CBD durchmische. Außerdem seien keine Quellen angegeben. Dadurch, dass in Deutschland und den Niederlanden bestimmte Blätter zugelassen sind, wäre eine Evidenz-Beurteilung angemessen gewesen, sagte er.

Maurice Androsch (SPÖ) zeigte sich ebenso enttäuscht von dem Bericht. Man hätte die Erfahrungsberichte von SchmerzpatientInnen einfließen lassen und Stellungnahmen veröffentlichen sollen. Ein wesentlicher Punkt fehle in dem Bericht außerdem zur Gänze – nämlich die Abschätzung der zukünftigen Rahmenbedingungen, vor allem in Hinblick auf die internationalen Entwicklungen in Bezug auf die Liberalisierung von Cannabis, so Androsch.

SPÖ-Fraktionskollegen Markus Vogl und Philip Kucher forderten dazu auf, die bestehenden Regelungen in anderen Ländern zu evaluieren, um das Thema von mehreren Seiten zu betrachten sowie zusätzliche Forschungen durchzuführen. Mit dem in dieser Form vorgelegten Bericht habe die Bundesministerin „ihren Job nicht gemacht“ und die parlamentarische Arbeit nicht ernstgenommen. Immerhin hätte man laut Entschließung nicht nur die medizinischen, sondern auch die rechtlichen, organisatorischen und ökonomischen Rahmenbedingung zum Einsatz von cannabishaltigen Arzneimitteln abschätzen sollen, meinte Kucher.

Auch SPÖ-Mandatarin Gabriele Heinisch-Hosek betonte, dass weitere Evaluierungen wichtig wären, weil die Forschung über cannabinoidhaltige Arzneimittel derzeit noch nicht weit fortgeschritten ist. Immerhin sei es für die PolitikerInnen wichtig, sich gut beraten zu fühlen, sagte sie. Sie bat den Präsidenten des Obersten Sanitätsrats außerdem um eine Kosteneinschätzung. In Österreich belaufe sich die Gesamtumsatzsumme von Verschreibungen von Dronabinol (THC) als Reinmittel zum Einsatz als Schmerzmittel bei etwa 40.000 Verordnungen auf etwa 10 Mio. € jährlich. Verschreibungen anderer Stoffe sind dazu vergleichsweise vernachlässigbar gering, informierte Müller.

Für die Kosten interessierte sich auch FPÖ-Mandatar Gerhard Kaniak, der in Anbetracht des Einsatzbereichs von THC keine medizinische Notwendigkeit für die Verschreibung von CBD gegeben sieht. Die beschleunigte Wirkstoffanflutung von Hanfblüten werde von Expertinnen und Experten ohnehin eher problematisch gesehen, sagte er, stattdessen wäre eher eine langanhaltende Wirkung wünschenswert. Aus dem Bericht sei klar hervorgegangen, wo Cannabinoide wirksam sind und wo sie es sein könnten. Für die Patientinnen und Patienten sei in erster Linie wichtig, dass die Therapiekosten von den Kassen übernommen werden, so Kaniak.

Zusätzliche Debatte über Cannabis-Bericht im Nationalratsplenum

Heftige Kritik über den vom Gesundheitsministerium vorgelegten elfseitigen Bericht kam von Seiten der JETZT-Gesundheitssprecherin Daniela Holzinger-Vogtenhuber, die ihn als einseitig und unausgewogen bezeichnete. Die Gesundheitsministerin habe nur Stellungnahmen von Seiten eingeholt, die von der derzeitigen Gesetzeslage profitieren, kritisierte sie. Der Bericht entspreche nicht dem ursprünglichen Auftrag, den therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden umfassend zu prüfen, um im Sinne der Patientinnen und Patienten handeln zu können, sondern sei eine „saloppe Meinungskundgabe“ der Ressortführung, so die Abgeordnete. Sie forderte eine evidenzbasierte wissenschaftliche Analyse, „die nicht auf Angst und Ideologie basiert“, sondern in der auf das bestehende Know-How „vieler Studien“ und die Erfahrungen in Deutschland zurückgegriffen werde.

Aufgrund des entsprechend unterstützen Verlangens von Holzinger-Vogtenhuber auf „Nicht-Enderledigung“ wird der Bericht betreffend Liberalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken auf der Tagesordnung der nächsten Plenartage stehen.

Verschreibespraxis cannabinoidhaltiger Arzneimittel wird evaluiert

Im Zuge der Diskussion brachten die Gesundheitssprecherinnen der Regierungsparteien, Gabriele Schwarz (ÖVP) und Birgit Povysil (FPÖ), einen Entschließungsantrag gemäß §27 ein. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger und die Krankenversicherungsträger werden darin aufgefordert, die Verschreibe- und Bewilligungspraxis für cannabinoidhaltige Arzneimittel zu evaluieren und eine einheitliche, diagnose- und evidenzbasierte Vorgansweise auszuarbeiten. Mit den Stimmen der Regierungspartien wurde der Antrag angenommen.

Quelle: Pressedienst der Parlamentsdirektion