Keine Freigabe von Cannabisblüten

Aus einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Gesundheitsministeriums zum Einsatz von Cannabis in der Medizin geht hervor, dass sich die Rechtslage und Praxis in Bezug auf Cannabisblüten nicht ändert. Denn für die Vorteile der Blüten gegenüber Medikamenten wie Dronabinol oder Sativex gebe es noch nicht genügend wissenschaftliche Beweise.

Cannabisblüte in einer Hand, Credit: Sharon McCutcheon, Unsplash

Während Cannabisblüten in deutschen Apotheken gegen Rezept erhältlich sind, dürfen in Österreich nur synthetische Cannabis-Präparate verschrieben werden. Die von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) produzierten Blüten bleiben dem deutschen Unternehmen Bionorica ethics vorenthalten, das aus den Blüten den Wirkstoff Dronabinol (Synonym für THC) für die medizinische Anwendung herstellt und an österreichische Apotheken liefert.

Bericht über therapeutischen Einsatz von Cannabis

Am 28. Dezember 2018 wurde der vom Gesundheitsausschuss beauftragte Bericht über zukünftige medizinische, rechtliche, organisatorische und ökonomische Rahmenbedingungen zum Einsatz von cannabishaltigen Arzneimitteln veröffentlicht. Dieser enthält die Resultate des vom Gesundheitsausschuss durchgeführten Begutachtungsverfahrens, geht auf Erfahrungen in Deutschland ein und beinhaltet die Stellungnahmen des Obersten Sanitätsrates (darin u.a. vertreten die Österreichische Ärztekammer und die Österreichische Apothekerkammer sowie der Hauptverband der Sozialversicherungsträger), der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES), der österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und dem Vorstand der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerzmedizin an der MedUni Wien, Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress.

Einsatz von Cannabinoiden in Österreich

In Österreich werden Cannabinoide (Dronabinol und Cannabidiol) in Form von magistralen Zubereitungen und von „Fertigarzneimitteln“ (Sativex und Canemes) in Verkehr gebracht. Die Verschreibung von Blüten- und Fruchtständen der Cannabispflanze ist – im Gegensatz zu Deutschland – nach wie vor untersagt.

Dronabinol (THC) ist rezept- und bewilligungspflichtig (Zuordnung zum gelben Bereich des Erstattungskodex) und hat eine zentral muskelrelaxierende, anti-spastische, anti-kachektische, antiemetische und analgetische Wirksamkeit.
Eingesetzt wird Dronabinol zur Appetitsteigerung bzw. Unterdrückung von Übelkeit und Brechreiz bei schweren konsumierenden Erkrankungen, die zu Gewichtsverlust und Schwäche führen (z. B. onkologischen Erkrankungen und AIDS), bei ausgeprägte Spastik bei Querschnitts-Lähmung oder Multipler Sklerose und zur Schmerztherapie (z. B. in der Palliativmedizin) als ultima ratio bei ausgeschöpftem WHO-Stufen-Schema zur medikamentösen Schmerztherapie.
Magistrale Zubereitungen werden  in Form von Tropfen oder Kapseln rezeptiert. Da Dronabinol zu den Suchtgiften zählt, unterliegt es dem Suchtmittelgesetz (SMG). Liegt eine nachvollziehbare medizinische Begründung vor und kann mit kostengünstigeren Arzneimitteln aus dem grünen oder gelben Bereich des Erstattungskodex nicht das Auslangen gefunden werden, erfolgt eine Erstattung der Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung, wobei im jeweiligen Einzelfall eine Genehmigung durch die Kontrollärztin bzw. den Kontrollarzt der jeweiligen Krankenkasse erfolgen muss.

Cannabidiol (CBD) ist weder rezept- noch bewilligungspflichtig. Der Substanz wird eine anti-entzündliche, anti-epileptische und anti-psychotische Wirkung zugeschrieben.
Meist wird Cannabidiol in Form von Tropfen, Kapseln und Tees angeboten. Da CBD nicht zu den Suchtgiften zählt, besteht keine Rezeptpflicht. Derzeit erfolgt keine Kostenerstattung magistraler Zubereitungen durch die Krankenkasse,  CBD wurde nämlich nicht in die Arzneitaxe aufgenommen. Ob in absehbarer Zeit eine Zulassung von „Epidolex 100 mg/ml orale Lösung“ durch die EMA (European Medicines Agency) erfolgt, ist nicht abschätzbar, doch wäre damit der Empfehlung der ÖGARI Rechnung getragen.
Am 9. Dezember gab das Gesundheitsministerium per Erlass an die Landeshauptleuite und die Agentur für Ernährungssicherheit ein Verkaufsverbot CBD-hältiger Extrakte bekannt, die als Nahrungsergänzungsmittel oder Lebensmittel verkauft werden.

Sativex, ein rezeptpflichtiges Kombinationspräparat aus Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), wurde 2011 in Österreich zugelassen.
Das Fertigarzneimittel wird als Mundspray verabreicht. Da Sativex zu den Suchtgiften zählt, unterliegt es dem Suchtmittelgesetz (SMG).  Sativex befindet sich nicht im Erstattungskodex, weshalb eine Erstattung nur in begründeten Einzelfällen zur Symptomverbesserung bei Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose erfolgt, die nicht angemessen auf andere anti-spastische Medikamente angesprochen haben.
Ein Antrag auf Aufnahme in den Erstattungskodex wurde im September 2016 wegen nicht ausreichenden Wirkungsnachweises von der Heilmittelevaluierungskommission abgelehnt, diese Entscheidung wurde vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt.

Anmerkung vom Oktober 2019: Sativex ist mittlerweile in der Erstattung (rezept- und bewilligungspflichtig, Zuordnung zum gelben Bereich des Erstattungskodex)

Abgesehen von Sativex wurde laut Auskunft der AGES in Österreich bisher kein Antrag auf Zulassung eines CBD-hältigen Produktes gestellt, was Voraussetzung für ein Zulassungsverfahren wäre.

Medikament Wirkstoff Zubereitung Suchtgift Rezeptpflicht Erstattung
Dronabinol Dronabinol (Trans-Delta-THC) in Form von Tropfen oder Kapseln ja ja bewilligungspflichtig (Zuordnung zum gelben Bereich des Erstattungskodex)
Cannabidiol Cannabidiol (CBD) in Form von Tropfen oder Kapseln nein nein nicht in der Arzneitaxe
Sativex Kombination aus Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) Fertigarzneimittel als Mundspray ja ja nicht im Erstattungskodex, Erstattung erfolgt nur in begründeten Einzelfällen

Verkaufsverbot von CBD-haltigen Lebensmitteln und Kosmetika

Am 9. Dezember hat das Gesundheitsministerium einen Erlass an die Landeshauptleute und die AGES herausgegeben. Dieser bezweckt, den Verkauf von CBD-Blüten sowie die Produktion und den Verkauf von Lebensmitteln unter Beigabe von CBD einstweilen auf dem Verwaltungsweg zu untersagen, da diese ein Zulassungsverfahren auf Basis der Novel-Food-Verordnung der Europäischen Union bedürfen.

Wirksamkeit

Dem Bericht zufolge findet sich eine ausreichend gute Evidenz für die Wirksamkeit von Cannabinoiden (wobei in den Studien vor allem THC/Analoga oder die Kombination THC/CBD untersucht wurden) findet sich aktuell nur für die Indikationen:

  • chronischer Schmerz bei Erwachsenen
  • Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen
  • Spastizität bei Multipler Sklerose

Moderate bis limitierte Evidenz besteht für die Kombination THC/CBD für eine kurzzeitige schlafverbessernde Wirkung bei Erkrankungen wie chronischem Schmerz und Multipler Sklerose sowie für Cannabinoide bei Gewichtsverlust im Rahmen von HIV/AIDS, Tourette-Syndrom und Sozialphobien.

Einsatz von Cannabis-Blüten (Medizinalhanf)

Unter Zugrundelegung der Stellungnahme von Univ.-Prof. DDr. Kress wird im Bericht festgehalten, dass Medizinalhanf (Blüten- oder Fruchtstände der Cannabispflanze) in Österreich aufgrund der Suchtgiftverordnung nicht rezeptierbar sind. Zwar werde oft behauptet, dass gerauchtes bzw. inhaliertes Cannabis gegenüber adäquat dosiertem Dronabinol (THC) besser wirke, jedoch gebe es dafür keine wissenschaftliche Evidenz. Zwar erfolge bei Inhalation über die Lunge eine raschere Aufnahme in Blut und Gehirn als bei einer oralen Einzeldosis, allerdings sei – unabhängig von dem gesundheitsschädlichen Aspekt des Rauchens – die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei oraler Aufnahme um einige Stunden länger, welche gerade für die Behandlung bei chronischen Schmerzen im Vergleich zu kurzen Rauschzuständen zu bevorzugen sei.

Weitere Nachteile stellen Kress zufolge die nicht exakt durchführbare Dosisreproduktion und die schwierige Anwendung individueller, reproduzierbarer Dosistitrationen wegen des unkalkulierbar variablen THC- und CBD-Gehalts dar. Dazu komme eine Dosisvariabilität aufgrund der individuell schwankenden Inhalationsdauer und -tiefe. Der Präsident des Obersten Sanitätsrates betonte dabei überdies, dass das Risiko von Fehldosierungen ein wesentlicher Hinderungsgrund für die Zulassung von Arzneimitteln nach internationalen Standards sei.

Rechtslage

Die Verschreibung von Cannabis/Marihuana (definiert als die getrockneten Blüten- oder Fruchtstände der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen, denen das Harz nicht entzogen wurde) ist in Österreich nach geltender Rechtslage gemäß § 14 Z 3 der Suchtgiftverordnung (SV), BGBl. II Nr. 374/1997, idgF, verboten.

Vergleich mit der Rechtslage in Deutschland

Deutschland hat mit der Änderung im Betäubungsmittelgesetz 2017 hinsichtlich der Verschreibungsfähigkeit des aus Cannabisextrakt gewonnenen Wirkstoffes Dronabinol (Delta9-Tetrahydrocannabinol) überhaupt erst mit Österreich gleichgezogen. Zuvor durfte dieses nämlich – analog den Cannabisblüten – in Deutschland nur aufgrund individueller Einzelerlaubnis und nur unter sehr engen Rahmenbedingungen für eine Patientin bzw. einen Patienten ärztlich verschrieben werden.

Demgegenüber ist aus Cannabisextrakt erzeugtes Dronabinol in Österreich bereits seit 2015 verschreibungsfähig (und zwar ohne die Voraussetzung einer Ausnahmegenehmigung wie in Deutschland).

Was in Österreich, im Gegensatz zu Deutschland, weiterhin gesetzlich nicht vorgesehen ist, ist die Verschreibung der Blüten- und Fruchtstände der Cannabispflanze. Die in Rede stehende Novellierung erfolgte in Deutschland letztlich, weil damit die – aufgrund der bisherigen spezifischen deutschen Rechtslage von der Rechtsprechung – mangels Kostentragung durch die soziale Krankenversicherung in den Raum gestellte Option des Selbstanbaus von
Cannabis verhindert werden sollte. Dies gilt auch für die Ergebnisse der in Deutschland Hand in Hand mit der jüngsten Novellierung in Aussicht genommenen Begleiterhebung, welche der Gewinnung von Erkenntnissen in Bezug auf den medizinischen Einsatz von Cannabis (Marihuana) gewidmet ist. Änderungen der österreichischen Rechtslage in diesem Bereich werden, wie bisher, in Abhängigkeit von den wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen.

Für den Einsatz von Cannabis, im Sinne von getrockneten Blüten- oder Fruchtständen der Cannabispflanze, als Arzneimittel in Österreich fehlt laut dem Bericht der wissenschaftliche Nachweis der Vorteile der getrockneten Blüten- oder Fruchtstände im Vergleich zu jenen cannabisbasierten Präparaten, die bereits der ärztlichen Verschreibung zur Verfügung stehen (z.B. Sativex oder Dronabinol). Reinsubstanzen ist im Vergleich zu den getrockneten Blüten- und Fruchtständen im medizinischen Einsatzgebiet der Vorzug zu geben, da diese in bedarfsgerecht exakter und reproduzierbarer Dosierung zum Einsatz gelangen können.

Quelle: Zusammenfassender Bericht der eingeholten Stellungnahmen aufgrund der Entschließung des Nationalrats Nr. 27/E XXVI.GP betreffend Liberalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken

Die Kontroverse um Cannabis für MS-Patienten. Der Standard Spezial, Jänner 2019