Cannabis-basierte Medikamente gegen chronische Schmerzen

 klares Glas mit Cannabisblüten gefüllt, Credit: Get Budding, Unsplash

In einem internationalen Positionspapier fassten Expertinnen und Experten der Europäischen Schmerzföderation EFIC den aktuellen Stand des Wissens zur Frage zusammen, wann Cannabis-basierte Medikamente zur Behandlung chronischer Schmerzen sinnvoll sind.

Die Österreichische Schmerzgesellschaft veröffentlichte eine Pressemitteilung, in der auf die jüngsten Empfehlungen der Europäischen Schmerzgesellschaft (European Pain Federation, EFIC) hinsichtlich des Einsatzes von Cannabis-basierten Medikamenten, sogenannten Cannabinoiden, zur Behandlung chronischer Schmerzen hingewiesen wurde.

Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress, Credit: B&K –Bettschart & Kofler Kommunikationsberatung GmbH

Sind Cannabinoid-Medikamente für die Schmerztherapie zweckmäßig? Könnte der medizinische Einsatz von Cannabisblüten oder Marihuana Vorteile gegenüber den verfügbaren Medikamenten bringen? Mit diesen aktuell viel diskutierten Fragen beschäftigte sich zuletzt nicht nur ein auf Ersuchen des Nationalrats vom Sozialministerium erstellter Bericht, sondern auch ein internationales Positionspapier der EFIC.

Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress, Vorstand der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerzmedizin, Medizinische Universität/AKH Wien, der an beiden Expertisen maßgeblich beteiligt war, erläuterte anlässlich der 18. Schmerzwochen der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) einige wichtige Aspekte zum Thema.

Kress zufolge habe sich ingesamt gezeigt, dass die wissenschaftliche Evidenz für den medizinischen Einsatz von Cannabinoiden noch lückenhaft sei und die Anwendung daher in vielen Bereichen mehr auf klinischer Erfahrung und weniger auf harten Studien-Daten beruhe. Am besten seien die Cannabinoide Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC, internationaler Freiname: Dronabinol) und Cannabidiol (CBD) untersucht. THC sei halluzinogen, CBD nicht und daher auch kein Suchtmittel. Die möglichen medizinischen Einsatzgebiete dieser beiden Cannabinoide würden sich zudem maßgeblich voneinander unterscheiden, so Kress.

Eine der Empfehlungen des neuen EFIC-Positionspapiers zielt auf die Kenntnisse der Behandlerinnen und Behandler ab: So sollte eine Therapie mit Cannabinoiden von Ärztinnen und Ärzten durchgeführt werden, die über ausreichende therapeutische Erfahrung mit diesen Substanzen verfügen.

Was den Einsatz von Cannabinoiden bei chronischen Schmerzen betreffe, sei die Wirkung bei chronischem neuropathischem Schmerz wissenschaftlich gut belegt, erläuterte Kress. Im Rahmen einer medikamentösen Behandlung könne Dronabinol hier als Ergänzung (Add-on-Therapie) eine nützliche Option darstellen. Dafür würden sowohl die Quantität als auch die Qualität der Evidenz sprechen.

Für die Behandlung aller anderen chronischen Schmerzzustände fallen die Empfehlungen aufgrund der Datenlage zurückhaltender aus: So könne Dronabinol nach Ausschöpfung und Versagen herkömmlicher Therapien auch bei anderen chronischen Schmerzen im Sinn eines individuellen Therapieversuchs zusätzlich zum Einsatz kommen. Kress wies in diesem Zusammenhang auf die deutsche CAPRIS-Studie hin, in der sekundäre Wirksamkeitsbelege zugunsten von Cannabinoid-Arzneimitteln in der Schmerztherapie belegt seien, beispielsweise in Form einer Reduktion der durchschnittlichen Schmerzintensität. Auch bei Tumorschmerzen könne ein Therapieversuch als Zusatzmedikation sinnvoll sein. Neben der Reduktion des Opioidverbrauchs können auch Symptome wie Schlafstörungen, Erschöpfung, Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit positiv beeinflusst werden, wie zuletzt eine Praxisempfehlung einer österreichischen Expertinnen- und Expertengruppe festgehalten habe.

Weitere anerkannte mögliche Einsatzgebiete für THC: Spastische Schmerzzustände – beispielsweise bei Multipler Sklerose oder dem Querschnittssyndrom.

Beim Einsatz von Cannabinoiden sei laut Kress bei entsprechenden Hinweisen vor Therapiebeginn ein Screening auf Depression und Angststörung oder auf Substanz-Abhängigkeit anzuraten. Patientinnen und Patienten mit einem hohen Abhängigkeitsrisiko sollte Dronabinol nur mit engmaschiger Kontrolle verschrieben werden. „Wichtig ist auch, vor dem Beginn der Cannabinoid-Behandlung realistische Therapieziele zu definieren. Werden diese nicht erreicht oder belasten Nebenwirkungen die Patienten zusätzlich, muss die Behandlung beendet werden“, erklärte Kress.

Keine Cannabisblüten oder Marihuana für medizinische Zwecke auf Rezept

Laut dem EFIC-Positionspapier sei der Einsatz von Reinsubstanzen und arzneimittelbehördlich zugelassenen Cannabis-basierten standardisierten Extrakten für medizinische Zwecke vor allem aufgrund der Dosis- und Anwendungssicherheit, wenn immer möglich, dem Konsum von Pflanzenteilen vorzuziehen. Hier sei laut Kress angesichts der oft emotional und ideologisch geführten Debatte wohl eine wichtige Klarstellung angebracht. „Die generelle Legalisierung von Cannabis ist eine rein gesellschaftspolitische Entscheidung, nur zwei Länder weltweit und einige US-Bundesstaaten haben sich bisher dafür entschieden. Wer eine solche generelle Legalisierung wünscht, soll das auch klar sagen, und sich nicht hinter einer Diskussion des medizinischen Nutzens von Cannabis und seiner ‚Medikalisierung‘ verstecken. Schon heute können in Österreich und anderen Ländern Patientinnen und Patienten von wirksamen und sicheren Cannabinoid-Medikamenten profitieren – dafür braucht es keine medizinische Cannabis-Legalisierung“, erklärte der Schmerzexperte.

Nach gegenwärtigem Wissensstand gebe es Kress zufolge keine Beweise, dass Cannabisblüten oder Marihuana für medizinische Zwecke wirksamer und sicherer wären als die verfügbaren Cannabinoid-Medikamente, die ihre Wirksamkeit und arzneimitteltechnische Sicherheit in kontrollierten Studien bewiesen haben. Vor diesem Hintergrund sehe auch das österreichische Sozialministerium in seinem aktuellen Bericht keinen gesetzlichen Änderungsbedarf.

Milliardenmarkt Cannabis

Kress erklärte, dass von manchen Seiten polemisiert werde, mächtige „Pharmalobbies“ würden versuchen, eine Liberalisierung oder Legalisierung des medizinischen Cannabisgebrauchs zu verhindern. Hier werde bewusst ein völlig falsches Bild gezeichnet, so Kress. Tatsächlich gehe es bei der Forderung nach medizinischer Cannabis-Freigabe um einen Milliardenmarkt mit entsprechenden großen börsenotierten Cannabisproduzenten und deren massivem Lobbying. So habe erst kürzlich kaufte der kanadische Cannabis-Anbauer Aurora Cannabis den Rivalen MedReleaf für umgerechnet 2,1 Milliarden Euro erworben. Die Aktien einschlägiger Anbau-Firmen würden in die Höhe schnellen.

„Das Fachmagazin Marijuana Business Daily schätzt, dass sich das Marktvolumen bis zum Jahr 2021 auf 23 Milliarden Dollar mehr als verdreifachen wird. Manche Analysten schätzen das künftige weltweite Marktpotenzial für legales Cannabis auf mehr als 150 Milliarden Euro, und längst haben sich auch globale Tabak- und Getränkekonzerne an großen Cannabis-Unternehmen beteiligt“, so Kress, der „ein richtig großes Geschäft“ vermutet, für dessen Durchsetzung offenbar Schmerzpatienten instrumentalisiert werden sollen.

Einfacherer Zugang zu bereits verfügbaren Arzneien

Dronabinol (THC) ist in Österreich als Reinsubstanz für magistrale Zubereitungen erhältlich, wobei eine Rezeptpflicht besteht (Suchtmittelrezept) und für die Kassenerstattung eine chefärztliche Bewilligung erforderlich ist. Die Zubereitung erfolgt als ölige Lösung oder Kapseln. Darüber hinaus sind zwei chefarztpflichtige Fertigarzneispezialitäten zugelassen: ein Spray mit THC und CBD (Nabiximols) und das synthetische, THC-ähnliche Nabilon.

 „Statt mit einer Legalisierungsdebatte wäre betroffenen Patienten mehr geholfen, wenn in Österreich Cannabinoid-Medikamente ohne die momentanen Erstattungs-Hürden der Krankenkassen besser zugänglich wären. Wünschenswert wäre eine deutlich vereinfachte Kostenübernahme durch die Krankenkassen bis hin zur Aufnahme in den grünen Bereich des Erstattungs-Kodex.“
Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress

Quelle: Pressemitteilung zu den 18. Österreichischen Schmerzwochen der Österreichischen Schmerzgesellschaft

Winfried Häuser, David P. Finn, Eija Kalso, Nevenka Krcevski‐Skvarc, Hans‐Georg Kress, Bart Morlion, Serge Perrot, Michael Schäfer, Chris Wells und Silviu Brill: European Pain Federation (EFIC) position paper on appropriate use of cannabis-based medicines and medical cannabis for chronic pain management. European Journal of Pain DOI:10.1002/ejp1297.2018

Zusammenfassender Bericht der eingeholten Stellungnahmen aufgrund der Entschließung des Nationalrats Nr. 27/E XXVI.GP betreffend Liberalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken

Deutsches Bundesministerium für Gesundheit: Cannabis: Potential und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse (CaPRis). 2017

Interdisziplinäres Meeting – „Austrian Cannabinoid Experts“, Dronabinol im Fokus: Erfahrung und Evidenz: Schmerznachrichten 1a/2019