Vereinbarkeit von Multipler Sklerose und Beruf

v.l.n.r. Priv.-Doz. Dr. Jörg Kraus, Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, MSc, Karin Krainz-Kabas, Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA und Marlene Schmid, Credit: Fine Facts Health Communication

Wie Multiple Sklerose die Arbeitsfähigkeit beeinflusst, wie die beruflichen Rahmenbedingungen aussehen, welche konkreten Maßnahmen zur Arbeitsintegration für Menschen mit MS geplant sind, welche noch fehlen und was noch getan werden kann, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, wurde am 21. November bei einem Pressegespräch in Wien erörtert.

Der Einfluss von MS auf die Arbeitsfähigkeit wurde in der europaweit unter knapp 17.000 MS-Betroffenen erhobenen Cost of Illness (COI)-Studie erhoben. Die österreichischen Daten wurden separat ausgewertet und geben interessante Aufschlüsse über den Status Quo und notwendige Verbesserungen der beruflichen Rahmenbedingungen für Menschen mit MS. So sind 54 Prozent aller Betroffenen im erwerbsfähigen Alter nicht berufstätig, viele auch bereits mit einem relativ geringen Grad an Beeinträchtigung. Dies kann einerseits zu finanzieller Benachteiligung, andererseits zu sozialer Isolation führen.

Ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, MSc, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie an der MedUni Wien, Karin Krainz-Kabas, Geschäftsführerin der MS-Gesellschaft Wien, Priv.-Doz. Dr. Jörg Kraus, Präsident der Österreichischen MS-Gesellschaft, Marlene Schmid, Patientenbeirätin und Obmann-Stellvertreterin der MS-Gesellschaft Tirol und Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA von der Arbeiterkammer fordern mehr Aufklärung, eine konsequentere Umsetzung vorhandener Unterstützungsmöglichkeiten und mehr Rechte für Menschen mit Multipler Sklerose, aber auch jene mit anderen chronischen Erkrankungen oder Behinderungen.

Der Schweregrad der Erkrankung wird über die Expanded Disability Status Scale (EDSS) auf einer Skala von 0 bis 10 definiert. Kraus zufolge sage der EDSS-Wert allerdings nur bedingt etwas über die Arbeitsfähigkeit aus. Bei rein körperlichen Tätigkeiten sei eine Arbeitsunfähigkeit meist deutlich schneller erreicht als bei einem Bürojob.  Aber gerade bei intellektuellen Aufgaben können Menschen mit MS meist auch noch dann noch tätig sein, wenn sie körperlich bereits deutlich eingeschränkt sind.

54 Prozent aller Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer im erwerbsfähigen Alter gaben an, nicht berufstätig zu sein, 43 Prozent nannten dafür ihre Erkrankung als Grund. Berger, der die österreichischen Daten analysiert hat, findet es erschreckend, dass bereits 50 Prozent der Probandinnen und Probanden mit einem leichten Behinderungsgrad (EDSS 0 bis 3) nicht mehr berufstätig waren. 73 Prozent der arbeitenden MS-Betroffenen berichteten, dass die Erkrankung ihre Produktivität bei der Arbeit beeinträchtige. Als besonders unangenehm wurden mit 60 % Fatigue (krankheitsbedingte vorzeitige Erschöpfung) angegeben, gefolgt von eingeschränkter Mobilität (30 %), kognitiven Problemen (25 %), Schmerzen (19 %) und getrübter Stimmung (18 %).

Kraus erklärte, dass man mit diesen Symptomen richtig umgehen müsse, um trotzdem berufstätig bleiben zu können. „Entscheidend für die Arbeitsfähigkeit ist, wie sehr Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützend entgegenkommen. Kann jemand, der häufig von Fatigue geplagt wird, häufiger Pause machen oder Teilzeit arbeiten, wird er auch länger im Erwerbsleben bleiben können“, berichtet Kraus von seiner Erfahrung als Neurologe und ÖMSG-Präsident.

Krainz-Kabas plädiert für Aufklärung bei Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, denn mehr Information führe zu mehr Verständnis. Die Verantwortlichen in den Unternehmen sollten darüber Bescheid wissen, dass MS meist in Phasen verläuft und nach schwierigen auch wieder gute Phasen kommen, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter produktiver sind.

Für den Einsatz von praktischer Hilfe machte sich Schmid stark. So gebe es die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten oder den vorübergehenden Einsatz von Arbeitsassistenz zu nützen, deren Kosten von der öffentlichen Hand getragen werden. Diese würden MS-Betroffene am Arbeitsplatz und damit in weiterer Folge auch Unternehmen unterstützen, indem sie praktische Hilfestellungen geben oder sich für Ruhepausen einsetzen, wenn jemand an Fatigue leidet.

Ausbau bestehender Programme

Initiativen zur Unterstützung chronisch kranker oder behinderter Menschen nach längeren Krankenständen müssten weiter ausgebaut und verfeinert werden, fordert Rupp. So könnten Unternehmen, die Personen mit Einschränkungen einstellen oder weiter beschäftigen möchten, auf Antrag – wie auch die Betroffenen selbst – vielfältige finanzielle Förderungen von der öffentlichen Hand erhalten. Instrumente wie etwa fit2work oder die befristete Arbeitszeitreduktion nach den Regeln des Wiedereingliederungsteilzeitgesetzes seien gute Ansätze, das in anderen Ländern bereits erprobte „disability management“ für Österreich zu adaptieren, erklärt der Arbeiterkammer-Experte. Leider gebe es für diese beiden Programme keinen Rechtsanspruch. Ganz wichtig sei es auch, sich um die jungen Menschen nach der Diagnose zu kümmern. Rupp: „Ausbildungs- und Berufsentscheidungen, die ohne fachliche Beratung, unter dem Eindruck von schwerwiegenden Diagnosen getroffen werden widersprechen häufig dem intellektuellen Potenzial und den Krankheitsverlaufsprognosen für die Betroffenen.“

Ein wichtiger Ansatzpunkt ist hier eine gute fachliche Beratung, wie sie beispielsweise bei der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien angeboten wird.

Generell sei ein Umdenken in der Gesellschaft notwendig, denn von 4,3 Millionen in Österreich erwerbstätigen bzw. arbeitssuchenden Menschen seien mehr als zwei Millionen chronisch krank oder hätten Einschränkungen. An entsprechenden Anpassungen der Arbeitsumstände werde also in naher Zukunft kein Weg vorbei führen, ist Rupp überzeugt.

Literatur

Ulf Baumhackl (Hg.); Multiple Sklerose; Prävalenz & Therapie im 12-Jahres-Vergleich in Österreich; 2014

Berger, T., Kobelt, G., Berg, J., Capsa, D., & Gannedahl, M. (2017). New insights into the burden and costs of multiple sclerosis in Europe: Results for Austria. Multiple Sclerosis Journal, 23(2_suppl), 17–28.

Quelle: Fine Facts Health Communication