Expertentalk: Dr. Martin Gleitsmann über die Wiedereingliederungsteilzeit

Die Österreichische Wirtschaftskammer nimmt sich der Wiedereingliederung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach langen Krankenständen an, weil ihr die Fachkräftesicherung ein wichtiges Anliegen ist und sie dazu beitragen möchte, Betroffenen eine schrittweise Rückkehr ins Erwerbsleben zu ermöglichen. Seit 1. Juli 2017 ist es möglich, mit dem Dienstgeber eine entsprechende Vereinbarung zu treffen.

„Wenn man derzeit österreichische Betriebe befragt, wo ihre Probleme liegen, erhält man durchgehend als dringendstes Anliegen den Fachkräftemangel genannt. Dieser betrifft vor allem die Bereiche Tourismus und Gastronomie. Die Betriebe stehen vor einer parallelen Anstrengung: Einerseits versuchen sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesund zu behalten, andererseits suchen sie neue Arbeitskräfte. Aus diesem Grund verfolgt die Wirtschaftskammer das Thema Fachkräftesicherung auf unterschiedlichen Ebenen. Dazu gehören auch Überlegungen und Initiativen, um Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen den Weg in die Betriebe zu ermöglichen und diese auch dort zu halten“, erklärte Dr. Martin Gleitsmann, sozialpolitischer Sprecher der Österreichischen Wirtschaftskammer, im Gespräch mit der MS-Gesellschaft Wien. Frühindividualisierung sei nämlich nicht der einzige Weg, ist Gleitsmann überzeugt.

Wiedereingliederung durch medizinische  und berufliche Rehabilitation

Um Menschen mit Gesundheitsproblemen die Teilnahme am Erwerbsprozess zu ermöglichen, sieht Gleitsmann für die Zukunft zwei Schienen: Einerseits gebe es durch neue Behandlungsformen immer mehr Möglichkeiten, berufstätig zu bleiben, andererseits müsse man davon abkehren, kranke Menschen unbedingt in die Invaliditätspension zu schicken.

„Wir haben auf Sozialpartnerebene bereits das Thema „Reha-Vorpension“ erreicht. Wir möchten nämlich nicht, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen pensioniert werden, sondern möchten sie „wieder herstellen“ – sowohl auf medizinischer als auch auf beruflicher Ebene“, so Gleitsmann. Zur Vermeidung von Invaliditätspensionen sei im Zeitraum 2010/2011 die Möglichkeit der befristeten Invaliditätspension abgeschafft worden. Ein entsprechender Antrag gelte seitdem nur mehr als Rehabilitationsantrag.

Rehabilitation statt krankheitsbedingter Frühpension

Nach dem Grundsatz „Rehabilitation statt krankheitsbedingter Frühpension“ möchten die Pensionsversicherungsträger Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen mindestens sechs Monate lang nicht arbeiten können, langfristig wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Zudem sollen mit der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes Invalidität, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit verstärkt vermieden bzw. beseitigt werden – und zwar unter Berücksichtigung des Arbeitsmarktes und der Zumutbarkeit für die versicherte Person. Werden Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation erbracht, gebührt ab dem Stichtag für die Leistungsfeststellung ein Übergangsgeld in Höhe der fiktiven Pensionshöhe. Ein allfälliges Erwerbseinkommen oder Arbeitslosengeld bzw. eine Beihilfe des Arbeitsmarktservice werden auf das Übergangsgeld angerechnet.

„Um es ganz nüchtern zu sagen: Das ist leider schief gegangen“, bedauert Gleitsmann. Zwar sei in den meisten Fällen die medizinische Rehabilitation in die Wege geleitet worden, zur beruflichen Rehabilitation sei es aber in den seltensten Fällen gekommen.“ Aufgrund dieser Erfahrung hätten die Sozialpartner das Thema Wiedereingliederung erneut diskutiert. Zudem habe der Rechnungshof umfangreiche Kritik am derzeitigen System geübt. „Wahrscheinlich muss man das System von Grund auf neu erfinden“, überlegt Gleitsmann.

Wiedereingliederungsteilzeit

Bereits im letzten Regierungsprogramm sei die Frage eingebracht worden, wie man bewirken könne, dass Menschen, deren Gesundheit nach einem langen Krankenstand noch nicht völlig wieder hergestellt sei, sinnvollerweise wieder früher in den Betrieb zurückkehren. „Diese Frage war bis zu diesem Zeitpunkt in den Denkkategorien nicht vorhanden. Auch von ärztlicher Seite gab es nur zwei Kategorien: Ganz krank oder vollständig gesund. Dazwischen gibt es nichts. Wenn also jemand nicht ganz gesundgeschrieben ist, darf er nicht arbeiten“, so Gleitsmanns ernüchterndes Resümee der letzten Jahre.

Partielle Arbeitsfähigkeit

„Dieses Kategorienschema wurde mit der seit 1. Juli möglichen Wiedereingliederungsteilzeit aufgebrochen“, zeigt sich der ehemalige Hauptverbandspräsident begeistert. Schließlich sei es nicht sinnvoll, wenn in eingeschränktem Maß arbeitsfähige Personen zu Hause blieben. Es sei nämlich bewiesen, dass langes Fernbleiben vom Arbeitsmarkt bewirke, dass die betroffenen Menschen nur sehr schwer wieder in den Arbeitsmarkt zurückfinden würden. „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können mit diesem Modell ihren Job erhalten und bekommen höhere Geldleistungen als im Krankenstand“ schildert Gleitsmann die Vorteile des Teilzeitmodells.

„Ich halte es für ganz wichtig, dass Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen am Erwerbsleben – eingeschränkt oder nicht und in welcher Form auch immer – teilnehmen und nicht ausgeschlossen sind.“
Dr. Martin Gleitsmann.

Voraussetzungen für die Wiedereingliederungsteilzeit

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können mit ihrem Dienstgeber nach einem mindestens sechswöchigen Krankenstand auf freiwilliger Basis eine Reduktion der Arbeitszeit um mindestens ein Viertel und höchstens um die Hälfte vereinbaren, wobei die wöchentliche Normalarbeitszeit 12 Stunden nicht unterschreiten darf. Während der Wiedereingliederungsteilzeit sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer pensionsversichert, die Beitragsgrundlage für die Pensionsversicherung ist geschützt und es wird das sogenannte Wiedereingliederungsgeld ausbezahlt. Dabei ist zu beachten, dass das Arbeitsverhältnis vor Antritt der Wiedereingliederungsteilzeit mindestens drei Monate angedauert hat und die Wiedereingliederungsteilzeit ein bis sechs Monate lang dauern kann. Zudem ist eine einmalige Verlängerung um ein bis drei Monate möglich.

Darüber hinaus ist eine ärztliche Bestätigung über die Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers erforderlich und das Wiedereingliederungsgeld muss durch den Krankenversicherungsträger bewilligt werden. Zudem ist eine Beratung durch die Initiative fit2work erforderlich. Alternativ kann die Arbeitsmedizinerin bzw. der Arbeitsmedizinerin des Betriebs, aber auch ein arbeitsmedizinisches Zentrum der Wiedereingliederungsvereinbarung und dem Wiedereingliederungsplan zustimmen. Gibt es einen Betriebsrat, muss auch dieser an den Verhandlungen über die Vereinbarung teilnehmen.

Volle dienstzeitabhängige Ansprüche

Während der Wiedereingliederungsteilzeit werden volle dienstzeitabhängige Ansprüche wie etwa Urlaubsansprüche erworben, auch Urlaube sind möglich. Wegen einer geplanten Durchführung oder Ablehnung einer Wiedereingliederungsteilzeit dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gekündigt werden (Motivkündigungsschutz). Die Wartezeit für einen neuerlichen Anspruch beträgt 18 Monate.

Das Modell der Wiedereingliederungsteilzeit sei nun in einer ersten Stufe verwirklicht worden und eigne sich vor allem für Patientinnen und Patienten mit Burnout oder Krebserkrankungen, da diese teilweise monatelang vom Arbeitsplatz fernbleiben müssten und nun die Gelegenheit hätten, wieder schrittweise in das Berufsleben zurückzukehren, erklärt Gleitsmann. In manchen Fällen eigne sich dieses Übergangsmodell auch für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie MS, zumal eine flexible zeitliche Ausgestaltung innerhalb des Kalendermonats möglich sei.

„Man darf Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht vom Arbeitsmarkt abschreiben.“
Dr. Martin Gleitsmann.

Dem Schwarz-Weiß-Denken den Rücken kehren

Die am Projekt Beteiligten hätten vor, die Wiedereingliederungsteilzeit in einem weiteren Schritt um die Möglichkeit von Rücksichtnahmen, welche gewisse Erkrankungen erfordern, zu erweitern. Es werde auch über das Thema „tätigkeitsbezogene Krankschreibung“ diskutiert. Habe sich etwa ein Arbeitnehmer am Wochenende bei einem Fußballspiel den Fuß verstaucht, könne er womöglich in der darauffolgenden Woche Büroarbeit im Sitzen verrichten. „Wir möchten die Ärzte für Übergangsmodelle gewinnen, die vom Schwarz-Weiß-Denken „gang gesund oder ganz krank“ wegkommen“, erklärt Gleitsmann.

„Auch sollte es speziell für Menschen mit Multipler Sklerose neue Vereinbarungsmodelle geben, so dass diese möglichst kontinuierlich und auf Dauer beschäftigt werden können. Für mich ist es nämlich das Schlimmste, wenn man Menschen mit Erkrankungen einfach abschreibt, indem man sie entweder nicht dauerhaft im Betrieb haben möchte, ihnen eine künstliche Beschäftigung zuweist oder sie in Pension schickt“, so Gleitsmann.

Kerstin Huber-Eibl