Behindertenanwaltschaft: Sprachrohr für 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen

Laut dem aktuellen Tätigkeitsbericht der Behindertenanwaltschaft  haben sich im Jahr 2019 Menschen mit Behinderungen, deren Angehörige, Selbsthilfegruppen oder Interessenvertretungen in 646 Fällen an die Behindertenanwaltschaft gewandt.

Symbolbilder unterschiedlicher Behinderungen, Text: Behindertenanwaltschaft. Sprachrohr für 1,4 Mio. Menschen mit Behinderungen, Credit: Canva

Der seit 2017 als Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen tätige Dr. Hansjörg Hofer ruft im Bericht in Erinnerung, dass 1,4 Mio. Personen in Österreich der Bevölkerungsgruppe Menschen mit Behinderungen angehören, was sich in der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht immer so widerspiegle.

„Ich möchte (…) in Erinnerung rufen, dass sich in einer vor einigen Jahren durchgeführten Mikrozensus-Erhebung von Statistik Austria 15 % der Befragten selbst als in einem wichtigen Lebensbereich aufgrund einer körperlichen, geistigen, psychischen oder Sinnes-Behinderung benachteiligt bezeichnet haben. Hochgerechnet bedeutet dies, dass ca. 1,4 Millionen in Österreich lebende Menschen den Menschen mit Behinderungen angehören. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die Anliegen und Rechte dieser Bevölkerungsgruppe spiegelt die genannte Zahl nicht immer wieder. Die Politik wäre meines Erachtens gut beraten, die Interessen der Wählerinnen und Wähler mit Behinderungen stärker in ihren Fokus zu nehmen.
Behindertenanwalt Dr. Hansjörg Hofer

Die Kontaktaufnahme zur Behindertenanwaltschaft erfolgte dem Tätigkeitsbericht zufolge aus verschiedensten Gründen, wobei sich aus dem breiten Spektrum die Themen Bildung, Arbeit, Barrierefreiheit und Wohnen als Schwerpunkte ausmachen ließen. Zusätzlich erfolgten im Berichtszeitraum 634 telefonische Beratungen, 44 Sprechtage in den Bundesländern sowie 122 Besprechungen mit Beratungscharakter in Wien. Ihre Funktion als Vertrauensperson in Schlichtungsverfahren nahm die Institution in 31 Fällen wahr.

Anpassung des Pflegegeldes und höhere Steuerfreibeträge

Hofer berichtet in seinem Vorwort von einer Reihe an Forderungen die im freien Spiel der Kräfte im Nationalrat 2019 zugunsten von Menschen mit Behinderungen umgesetzt werden konnten. Dies umfasst die jährliche Anpassung des Pflegegeldes analog zu den Pensionen ebenso wie die Anhebung der behinderungsbedingten Steuerfreibeträge, die seit 1988 nicht mehr an die Inflationsrate angepasst wurden. Als weitere Erfolge verbucht Hofer im Bericht die Abschaffung der Normverbrauchsabgabe für Menschen mit Behinderungen, denen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist. Außerdem wurde eine Evaluierung der Persönlichen Assistenz für Menschen mit Behinderungen im beruflichen und schulischen Kontext beschlossen, ist dem Bericht zu entnehmen.

Fallbeschreibungen

Der Bericht beschreibt ausführlich exemplarische Fälle in den Bereichen Arbeitswelt, Bildung und Diskriminierung in täglichen Lebensbereichen. Im Bereich Arbeit betrafen die Diskriminierungen Begründungen oder Beendigungen von Dienstverhältnissen, Weiterbildungsmaßnahmen und konkreten Arbeitsbedingungen. Im Falle von Kündigungen konnte meistens keine Wiedereinstellung erreicht wurden, obwohl Erfolge im Bereich der Abfertigungen erzielt werden, zeigt der Bericht. Auf eine nicht zufriedenstellende Rechtsunsicherheit verweist die Behindertenanwaltschaft im Bereich der Persönlichen Assistenz. Während die Assistenz am Arbeitsplatz durch Bundeskompetenz einheitlich geregelt ist, sei jene in der Freizeit in den Ländern sehr unterschiedlich geregelt. Dies führte in einem Fall zu hohen Nachforderungen bei einer Betroffenen, der laut Bericht zu untragbaren Schwierigkeiten durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten führte.

Forderungen

Der Bericht schließt mit konkreten Empfehlungen und Anregungen die sich bereits teilweise schon in vergangenen Berichten fanden, aber bis zum Jahr 2019 noch nicht oder nicht zur Gänze umgesetzt werden konnten. Diese betreffen etwa die Bereiche Behindertengleichstellungrecht, Arbeit, Bildung, Barrierefreiheit, Gesundheit, Soziales, Strafrecht und Straßenverkehr.

  • So fordert die Behindertenanwaltschaft eine stärkere Einbindung von Menschen mit Behinderungen bei Regelungen und Entscheidungen die sie betreffen, Sensibilisierungskampagnen zum Abbau von Klischees und Vorurteilen sowie besseres Datenmaterial über Menschen mit Behinderungen.
  • Weiters sollen die inklusive Kinderbetreuung für Einjährige ausgebaut werden und die Ressourcen für den sonderpädagogischen Förderbedarf an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden.
  • Gefordert wird auch die flächendeckende Verwendung „leichter Sprache“ im Gesundheitssystem.
  • Bezüglich Barrierefreiheit sollen die Wohnbauförderungen nur bei barrierefreien Umsetzungen ausgeschüttet werden.
  • Ebenfalls nicht neu ist die Forderung, die Familienbeihilfe und das Pflegegeld nicht auf andere Sozialleistungen als Einkommen anzurechnen.
  • Bessere finanzielle Unterstützung soll außerdem den pflegenden Angehörigen zugesprochen werden.
  • Auch sollen die Heilverfahren der Sozialversicherungsträger für Menschen mit psychischer und Lernbehinderung offen stehen.
  • Eine Änderungen im Strafrecht würde der Vorschlag nach einer geänderten Regelung des Schwangerschaftsspätabbruchs bedeuten. Zwar solle nach Vorstellung der Behindertenanwaltschaft die allgemeine Fristenlösung beibehalten werden, aber embryopathische Indikationen gestrichen und die Unterstützung für Familien mit Kindern mit Behinderungen ausgebaut werden.
  • Im Bereich des Straßenverkehrs umfassen die Vorschläge, die Gebühren für die Führerscheinverlängerungen entfallen zu lassen und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen bei E-Autos und autonomen Fahrzeugen stärker zu berücksichtigen.

Einzelne Forderungen im Bericht wurden inzwischen in einer Entschließung des Nationalrats behandelt. Dazu zählt die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erst nach einer längeren Arbeitsphase, die Einrichtung eines Inklusionsfonds, Tätigkeiten im Rahmen einer Beschäftigungstherapie in die gesetzliche Kranken- und Pensionsversicherung einzubeziehen und die Persönliche Assistenz bundeseinheitlich zu regeln.

Bericht des Anwalts für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen über die Tätigkeit im Jahr 2019

Website Behindertenanwaltschaft

Sozialausschuss befasst sich mit Bericht der Behindertenanwaltschaft

Der Bericht der Behindertenanwaltschaft wurde von den Abgeordneten im Sozialausschuss des Nationalrats als wichtige und informative Quelle über die Lage von Menschen mit Behinderung gewertet.

Die wichtigsten Aussagen des Berichts stellte den Abgeordneten die stellvertretende Behindertenanwältin Mag. Elke Niederl vor. Diese umriss in ihrem Einleitungsstatement die umfangreiche Tätigkeit der Behindertenanwaltschaft, aus der sie Erkenntnisse gewinne, in welchen Bereichen es immer noch Probleme gebe. Eines davon sei die Durchsetzung von Rechtsansprüchen für Menschen mit Behinderung. Neben der umfangreichen Beratungstätigkeit habe der Behindertenanwalt im Berichtsjahr auch bei 31 Schlichtungsverfahren als Vertrauensperson fungiert. Die Anwaltschaft gebe auch regelmäßig Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben ab und arbeite an der Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit für Anliegen von Menschen mit Behinderung. Nach wie vor sei die Barrierefreiheit ein zentraler Punkt, an dem noch gearbeitet werden müsse. Weitere Felder, die noch zu bearbeiten sind, sind laut Niederl die Situation von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt sowie die Bereiche Wohnen und Sozialrecht.

Kira Grünberg (ÖVP) sagte, 2019 seien zwar eine Reihe von Maßnahme zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung umgesetzt worden, es bleibe aber, wie der Bericht zeige, noch einiges zu tun. Ein besonderes Anliegen ist für sie eine bundeseinheitliche Regelung der persönlichen Assistenz außerhalb des Arbeitsbereichs. Was die Barrierefreiheit betrifft, so freue sie sich darauf, dass das Parlamentsgebäude am Ring nach der Renovierung durchgehend barrierefrei sein werde.

Auch Mag. Verena Nussbaum (SPÖ) betonte, eine Reihe wichtiger Maßnahmen stehe noch an und müsse weiterverfolgt werden, wie etwa die Forderung nach Lohn statt Taschengeld oder die Absicherung von Menschen mit Behinderung durch die Sozialversicherung. Das Prinzip der leichten Sprache sollte gerade im Gesundheitsbereich stärkeren Einzug halten, befand Nussbaum. Wichtig sei es, dass gerade in der derzeitigen Wirtschaftskrise Maßnahmen für Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt gesetzt werden. Ihr Fraktionskollege Christian Drobits wies auf die Unterstützung pflegender Angehöriger hin. Das Burgenland habe hier ein gutes Modell umgesetzt, meinte er und wollte wissen, inwieweit dieses Modell Chancen auf eine bundesweite Umsetzung hat.

Fiona Fiedler (NEOS) meinte, dass das Regierungsprogramm zwar eine Reihe positiver Maßnahmen für Menschen mit Behinderung vorsehe, diese aber noch auf sich warten lassen. Das betreffe etwa die Arbeitswelt, die Förderung von GebärdesprachendolmetscherInnen, aber auch von PädagogInnen, etwa im Bereich der Sehbeeinträchtigungen. Fiedler sah auch Defizite in der Datenlage, die es erschwere, überhaupt einzuschätzen, wie hoch der Bedarf an bestimmten Maßnahmen überhaupt ist.

Heike Grebien (Grüne) sagte, die Probleme, vor denen Menschen mit Behinderung stehen, seien oft eine typische Querschnittsmaterie. Lösungsansätze müssten daher interdisziplinär gesucht werden.

Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ) thematisierte die Probleme des Bildungswegs von Menschen mit Behinderung. Auffällig sei, dass gerade für Frauen mit Behinderung die Ausbildung oft mit der Absolvierung der Pflichtschule ende. Wichtig wäre es daher, Inklusion an den Schulen bis zum 18. Lebensjahr zu gewährleisten.

Die stellvertretenden Behindertenanwältin Elke Niederl bestätigte, dass die Corona-Krise die für Menschen mit Behinderung ohnehin schwierige Lage am Arbeitsmarkt nochmals erschwert hat. Hier wäre es wichtig, arbeitsmarktpolitisch Anreize für Beschäftigung zu setzen. Eine wichtige Maßnahme, um Bewusstsein für Barrierefreiheit zu fördern, wäre die Aufnahme verpflichtender Module zum Thema in die Architektenausbildung. Auch in der Frage der Inklusion an den Schulen sehe die Behindertenanwaltschaft noch Handlungsbedarf, SchülerInnen sollen auch nach der Pflichtschule ein Angebot an inklusivem Unterricht vorfinden. Ein solches könne nach Ansicht der Behindertenanwaltschaft bei ausreichender Unterstützung durchaus umgesetzt werden.

Anschober: Pilotprojekt zu persönlicher Assistenz soll 2021 starten

Wie die Abgeordneten hob auch Sozialminister Rudolf Anschober die wichtige Unterstützung hervor, welche die Behindertenanwaltschaft für Menschen mit Behinderung und für die Wahrnehmung ihrer Anliegen leistet. Was die angesprochenen Forderungen betreffe, so herrsche grundsätzlich Einigkeit über die Notwendigkeit ihrer gesetzlichen Umsetzung, sagte Anschober. Ihm sei es ein großes Anliegen, dass hier rasch Fortschritte erzielt werden. Die Problematik liege allerdings oft darin, dass es geteilte Zuständigkeiten von Bund und Ländern gebe. Das gelte auch für den „großen Brocken“, der noch anstehe, nämlich die Ausweitung der persönlichen Assistenz. Für pflegende Angehörige sei es wichtig, rasch eine Lösung für Kurzzeitpflege zu finden, die oft benötigt werde, um eigenen Bedürfnissen nachgehen zu können. Diese und andere Punkte wie etwa die Absicherung pflegender Angehöriger, solle im Rahmen der geplanten Pflegereform behandelt werden.

Vor allem in Länderkompetenz liege auch die Umsetzung der Forderung der Lebenshilfe „Gehalt statt Taschengeld“ im Bereich der Tageseinrichtungen bzw. Werkstätten. Hier müsse die Datengrundlage erhoben werden, bevor eine Umsetzung möglich sei. Ähnliches gelte für die persönliche Assistenz, er hoffe aber, dass dazu kommendes Jahr ein Pilotprojekt gestartet werden kann. Anregungen wie die der einfachen Sprache im Gesundheitsbereich nehme er gerne auf. Anschober betonte, dass viele der angesprochenen Themen ressortübergreifend behandelt werden müssen. Daher sei es ihm ein besonders Anliegen, dass über den neuen Nationalen Aktionsplan Behinderung alle Ressorts ihre jeweilige Verantwortung wahrnehmen.

Quelle: Parlamentskorrespondenz