Neuromyelitis optica

Bei der Neuromyelitis optica (NMO) handelt es sich um eine Erkrankung, die zur Sehnervenentzündung führt, das Rückenmark befallen und bis zur Querschnittslähmung führen kann. Die schubförmig verlaufende Autoimmunerkrankung bildet sich auch bei rechtzeitiger Behandlung nicht immer vollständig zurück. Ähnlich wie bei Multipler Sklerose (MS) ist die Prophylaxe von Krankheitsschüben besonders wichtig.

Priv.-Doz. Dr. Harald Prüß von der Klinik für Neurologie der Charité und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) in Berlin, Foto: Kerstin Huber-Eibl

Priv.-Doz. Dr. Harald Prüß von der Klinik für Neurologie der Charité und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) in Berlin, Foto: Kerstin Huber-Eibl

Bei Erkrankungen des Neuromyelitis-optica-Spektrums (NMOSD „Neuromyelitis optica spectrum disorders“)  greifen Zellen des Immunsystems fälschlicherweise eigene Nervenzellen der Sehnerven und des Rückenmarkes an. Das Resultat: Entzündungen der Sehnerven mit Sehstörungen (z. B. Verschwommensehen) bis hin zur Erblindung. Ist das Rückenmark betroffen, können Muskelschwäche bzw. Lähmung der Beine, Sensibilitätsstörungen, Entleerungsstörungen von Blase und Darm sowie weitere variable Symptome auftreten.

Die seltene Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) verläuft in der Regel schubförmig. Wird ein Schub rechtzeitig behandelt – beispielsweise mit Kortison – kann sich die Symptomatik vollständig zurückbilden. Im Fall einer unvollständiger Erholung kommt es zu bleibenden Behinderungen, die bei jedem Schub fortschreiten. In Deutschland und Österreich sind etwa ein bis vier von 100.000 Personen von Neuromyelitis optica betroffen.

„Früher dachte man, dass es sich um eine Form der Multiplen Sklerose handelt, heute ist NMO(SD) jedoch eine eigenständige Erkrankung, bei der sich das körpereigene Immunsystem gegen Aquaporin-4, einen Wasserkanal in den Zellmembranen, richtet“, erklärte Priv.-Doz. Dr. Harald Prüß bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Stuttgart.

Diagnose der Neuromyelitis optica

Die Diagnose einer Neuromyelitis optica verläuft mehrstufig und wird in den meisten Fällen aufgrund eines auffälligen Beschwerdebildes (klinischer Befund mit z. B. unüblicher Entzündung der Sehnerven oder des Rückenmarks) in Erwägung gezogen. In einem zweiten Schritt wird versucht, mit Hilfe apparativer Verfahren wie der MRT-Bildgebung (kraniale sowie spinale MRT) und der Laboruntersuchung auf NMO-typische Antikörper (NMO-IgG bzw. anti-AQP4-Antikörper) der Erkrankung auf die Spur zu kommen.

NMO-Schubprophylaxe

Neben der schnellstmöglichen Schubtherapie steht Prüß zufolge die vorbeugende Behandlung (Prophylaxe) drohender Schübe im Vordergrund. Die Prophylaxe erfolgt medikamentös durch eine dauerhafte Immunsuppression, die das Immunsystem unterdrückt und so die Bildung von Aquaporin-4-Autoantikörpern verhindert. Immunsuppressive Therapien, die das Risiko schwerer, potenziell tödlich verlaufender Infektionen bergen – vor allem bei starken, immunsuppressiven Medikamenten, die viele oder alle Anteile des Immunsystems gleichzeitig unterdrücken. Neue Immunsuppressiva wie Rituximab (ein sogenannter CD20-Antikörper) ermöglichen es inzwischen, das Immunsystem nur noch an spezifischen Stellen zu unterdrücken und nicht in seiner Gesamtheit.

NMO-Therapie

Da Schübe bei der Neuromyelitis optica im Vergleich zur Multiplen Sklerose relativ rasch zu einer schweren Behinderung führen können, sollten diese möglichst effektiv verhindert werden. Da keine Therapiestudien mit großen Fallzahlen bekannt sind, beruhen die aktuellen Therapieempfehlungen auf kleinen Fallserien und der klinischen Erfahrung spezialisierter Zentren.

Ähnlich wie bei Multipler Sklerose werden bei der Neuromyelitis optica Schübe mit hochdosierten Steroid-Pulstherapien behandelt. Führt diese Therapie nicht kurzfristig zu einer überzeugenden klinischen Besserung, empfiehlt sich ein Plasmaaustausch. Spätestens nach dem zweiten klinischen Schub oder bereits bei erstmaligem Nachweis einer langstreckigen Entzündung im Rückenmark und gleichzeitigem Nachweis von Antikörpern gegen den AQP4-Wasserkanal sollte laut der Neuromyelitis optica Studiengruppe eine immunsuppressive Behandlung in Betracht gezogen werden.

Die Therapie der der Neuromyelitis optica unterscheidet sich von der immunmodulatorischen Behandlung der Multiplen Sklerose. So zeigen Medikamente wie Interferon-beta oder Natalizumab bei Neuromyelitis optica keine überzeugende Wirksamkeit oder sind sogar schädlich. Stattdessen setzen erfahrene Zentren bei der Therapie der Neuromyelitis optica auf Medikamente wie Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Rituximab oder Mitoxantron, jeweils nach Durchsicht des individuellen Profils im Sinne einer Einzelfallentscheidung. Es existieren bislang keine speziell für die NMO zugelassenen Medikamente.

2019: Jahr der NMO

Die American Academy of Neurology (AAN) hat 2019 als „Jahr der NMO“ ausgerufen, da auf der AAN-Jahrestagung drei international durchgeführte Studien zu weiteren, im Ergebnis sehr wirksamen NMO-Therapien präsentiert wurden. Untersucht wurden drei neue Antikörper: Inebilizumab (ein CD19-Antikörper), Satralizumab (ein Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper) und Eculizumab (ein Antikörper gegen Protein C5 des Komplementsystems, einem Teilsystem unseres Immunsystems). Eculizumab ist dabei von großem Interesse, da seit fast 20 Jahren die Rolle der Komplementaktivierung bei der NMO bekannt ist (durch den Nachweis von Komplementablagerungen im Rückenmark von Betroffenen).

In einer doppelblinden, randomisierten Studie (Pittock SJ, Berthele A, Fujihara K et al. Eculizumab in Aquaporin-4-Positive Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder. N Engl J Med 2019 Aug 15; 381 (7): 614-25) erhielten 143 Testpersonen mit hochaktiver NMO-Erkrankung entweder Eculizumab oder Placebo (2 : 1) zusätzlich zu ihrer bereits laufenden Therapie. Die Gabe erfolgte intravenös zunächst wöchentlich, nach vier Wochen dann alle zwei Wochen. Vor Studienbeginn hatten die Patienten im Mittel jährlich zwei Schübe (1,99 ± 0,94). Das primäre Outcome der Studie war die Zeit bis zum ersten Rückfall. Im Ergebnis hatten 3/96 Studienteilnehmende (3 %) in der Eculizumab-Gruppe einen Rückfall – gegenüber 20/47 Personen (43 %) in der Placebogruppe. Das entsprach einer relativen Risikoreduktion von 94 % (HR 0,06). Nach drei Jahren waren 96 % in der Eculizumab-Gruppe ohne Rückfall (gegenüber nur 45 % mit Placebo). Eculizumab zeigte ein relativ gutes Sicherheitsprofil (im Allgemeinen keine schweren Nebenwirkungen, insbesondere keine der gefürchteten Meningokokkeninfektionen). Unter Eculizumab klagten mehr Patienten über Kopfschmerzen und obere Atemwegsinfekte, ein Patient verstarb an einer Infektion der Lunge (sogenanntes Lungenempyem).

„Angesichts der Schwere der NMO-Erkrankung war eine Placebogruppe ohne jegliche Behandlung ethisch nicht vertretbar, so dass die Mehrzahl der Patienten beider Gruppen noch weitere Immuntherapien erhielt – diese könnten Effekte auf das Studienergebnis gehabt haben, letztlich auch auf die Nebenwirkungsrate.“
Priv.-Doz. Dr. Harald Prüß

Eculizumab muss alle zwei Wochen als Infusion verabreicht werden, was die Anwendung in der klinischen Routine nicht immer einfach macht. Hinzu kommen die sehr hohen Kosten des Medikamentes. „Dennoch kann Eculizumab zu einem sehr wichtigen Reservemedikament für die NMO werden und die Betroffenen vor bleibender Behinderung retten, wenn die Standardtherapie, beispielsweise mit Rituximab, nicht ausreicht“, erklärte Prüß abschließend.

Bei etwa zwei Drittel der von Neuromyelitis optica betroffenen Menschen lassen sich im Blut spezifische Antikörper (NMO-IgG) nachweisen, die gegen Aquaporin-4 gerichtet sind. Dadurch kann die Abgrenzung von der Multiplen Sklerose erfolgen, da bei dieser NMO-IgG-Antikörper äußerst selten vorkommen. Problematisch bleibt die Unterscheidung in dem 1/3 der NMO-Fälle, die diese Antikörper nicht aufweisen. Eine rechtzeitige Unterscheidung zwischen der NMO und Multipler Sklerose ist aber von großer Bedeutung, da sich auch die Therapie dieser beiden Erkrankungen unterscheidet. Es ist wichtig, beide Erkrankungen korrekt und frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, denn die Behandlung hat das Ziel, weitere Schübe und damit neurologische Funktionsstörungen zu verhindern.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Neuromyelitis optica Studiengruppe (NEMOS)

Neues Medikament gegen Neuromyelitis optica getestet

Patientinnen und Patienten, die zusätzlich zu einer Basis-Immuntherapie mit Satralizumab behandelt wurden, erlitten seltener einen Rückfall als jene, die ein Plazebo erhielten. Auf die Intensität von Schmerzen und Müdigkeit wirkte sich Satralizumab jedoch nicht aus. Die Substanz ist außerhalb von Studien noch nicht als Medikament erhältlich, der Abschluss des Zulassungsverfahrens wird für das Jahr 2020 erwartet.

Labor: Kiste mit Pipetten, Foto: Louis Reed, Unsplash

Die seltene Autoimmunkrankheit Neuromyelitis optica ist mit der Multiplen Sklerose verwandt, verläuft aber meist schwerwiegender. Ein internationales Forschungskonsortium hat nun den Wirkstoff Satralizumab erfolgreich an Patientinnen und Patienten mit Neuromyelitis optica getestet. Jene, die zusätzlich zu einer Basis-Immuntherapie mit Satralizumab behandelt wurden, erlitten seltener einen Rückfall als jene, die ein Plazebo erhielten. Satralizumab hatte jedoch keinen Effekt auf Schmerzen und Müdigkeit.

Ein internationales Forschungskonsortium hat den Wirkstoff Satralizumab in einer randomisierten kontrollierten Phase-III-Studie an Patientinnen und Patienten mit Neuromyelitis optica getestet. Der Antikörper bindet an den Rezeptor von Interleukin-6, wodurch dieser den Interleukin-6-Signalweg unterbricht, der an der Entstehung von Krankheitsschüben beteiligt ist. Diese Wirkung wurde durch Forschungsarbeiten mit der Vorgängersubstanz Tocilizumab, durchgeführt von den Gruppen von Takashi Yamamura in Tokio sowie Ralf Gold und Ingo Kleiter in Bochum, entdeckt.

An der Studie, die an verschiedenen neurologischen Zentren weltweit lief, nahmen 83 Patientinnen und Patienten teil. Sie wurden zufällig in eine von zwei Gruppen eingeteilt: Die 41 Teilnehmenden in der ersten Gruppe erhielten das neue Medikament Satralizumab, die übrigen ein Plazebo; beide Gruppen bekamen zusätzlich eine Basis-Immuntherapie verabreicht, welche die Funktion des Immunsystems hemmt, jedoch allein nicht ausreichend war, die Neuromyelitis optica zu unterdrücken. Von den 41 mit Satralizumab behandelten Testpersonen erlitten acht einen erneuten Krankheitsschub im Untersuchungszeitraum, der 144 Wochen andauerte; in der Plazebo-Gruppe waren es in der gleichen Zeit 18 von 42 Teilnehmern – das Risiko sank also um 62 Prozent. Satralizumab wirkte besonders stark bei Patientinnen und Patienten, bei denen der Aquaporin-4-Antikörper im Blut nachgewiesen worden war. In dieser Gruppe reduzierte sich die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall um 79 Prozent gegenüber einer Placebo-Behandlung. Die Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen vergleichbar.

„Die Ergebnisse sind ein Durchbruch für die Behandlung der Neuromyelitis optica“, erklärte Prof. Dr. Ingo Kleiter, Mitglied der Medizinischen Fakultät der RUB und Ärztlicher Leiter der Marianne-Strauß-Klinik in Berg. „Erstmals konnte in einer randomisierten kontrollierten Studie gezeigt werden, dass die spezifische Hemmung eines Botenstoffs im Immunsystem, des Interleukin-6-Rezeptors, den Erkrankungsprozess stoppen kann. Zusammen mit zwei anderen kürzlich erprobten neuartigen Medikamenten, Eculizumab und Inebilizumab, stehen nun effektive Behandlungsformen für die Neuromyelitis optica – eine unbehandelt zu schwerer körperlicher Behinderung führenden Erkrankung – zur Verfügung.“

Die Forschungsergebnisse wurde am 28. November 2019 online im New England Journal of Medicine publiziert. An der multizentrischen Studie unter Leitung des National Center of Neurology and Psychiatry in Tokio, Japan, war auch die Neurologische Klinik des St. Josef-Hospitals Bochum (Direktor Prof. Dr. Ralf Gold) unter Leitung von Prof. Dr. Ingo Kleiter, Klinik der Ruhr-Universität Bochum (RUB), beteiligt.

Takashi Yamamura et al.: Trial of Satralizumab in Neuromyelitis optica spectrum disorder, in: New England Journal of Medicine, 2019, DOI: 10.1056/NEJMoa1901747

Quelle: Ruhr Universität Bochum