Geplante Neugestaltung der Mindestsicherung

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG) kritisiert die geplante Neugestaltung der Mindestsicherung durch die Bundesregierung. Die Zusatzleistungen für Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung sind nämlich als unverbindliche Zusatzleistungen geplant, welche die Bundesländer in ihren Ausführungsgesetzen zur „Mindestsicherung Neu“ vorsehen können – oder auch nicht. Dies bereitet der Arbeitsgemeinschaft, in der die großen Trägerorganisationen Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe gemeinsame sozialpolitische Anliegen artikulieren, große Sorge.

zerknüllte Euroscheine am Boden, Credit: Imelda, Unsplash

Unverbindliche Zusatzleistungen

„Bei der jetzt geplanten – und nun mehr als Sozialhilfe benannten – „Mindestsicherung Neu“ wird vor allem bei Familien mit Kindern gekürzt. Das ist kurzsichtig und macht das Leben gerade für jene schwer, die schon jetzt jeden Euro zweimal umdrehen müssen“, betonte Bernd Wachter, Generalsekretär der Caritas Österreich und Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG) im Blick auf die geplante Neugestaltung der Mindestsicherung durch die Bundesregierung. „Kinder, die Armut erfahren, haben schlechtere Bildungs- und Zukunftschancen. Wer hier kürzt, nimmt diesen Kindern ganz konkret Teilhabe- und Entwicklungschancen. Armut wird dann noch stärker weitervererbt als bisher. Denn 80.000 Kinder stellen mit 35 Prozent den größten Anteil der Mindestsicherungsbezieherinnen und -bezieher“, so Wachter.

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser erklärte, dass zwischen einem niedrigen Arbeitseinkommen und der Mindestsicherung für eine Familie mit drei Kindern nur der schmale Grat des Arbeitsplatzverlustes oder einer chronischen Krankheit liege. Die geplanten Kürzungen würden genau dem viel zitierten fleißigen Geringverdiener mit Kindern schaden. Hier gehe es um Menschen, die viel arbeiten und wenig verdienen und in Krisen kommen können. Anstatt
die Situation jener, die es ohnedies schwer haben, zu verschärfen, wäre es – gerade angesichts der guten wirtschaftlichen und budgetären Entwicklung – jetzt an der Zeit, Österreich armutssicherer zu machen, erklärte Moser

Welche Verschlechterungen würde die Umsetzung der „Mindestsicherung Neu“ für Klientinnen und Klienten sozialer Organisationen bringen?

Fallbeispiel: Sabine K. (23 Jahre), die mit ihrer Mutter (54 Jahre) im gemeinsamen Haushalt lebt. Frau Sabine K. hat eine sogenannte erhebliche Behinderung.

Zusammenschau des Status Quo der Mindestsicherung in Wien und dem Modell der Bundes-Regierung:

Der günstigste Fall:

In Wien würde es selbst dann, wenn das Land Wien alle eingeräumten Möglichkeiten für Zusatzleistungen in vollem Umfang nutzen würde, für den gemeinsamen
Haushalt von Sabine K und ihrer Mutter Maria K. zu zwingenden Verschlechterungen im Ausmaß von 144 € pro Monat bzw. 1.726 € im Jahr kommen.

Der ungünstigte Fall:

Dem Land Wien wäre es möglich, das derzeitige Leistungsniveau der Mindestsicherung für einen Haushalt wie jenen von Sabine K., die als Mensch mit so
genannter erheblicher Behinderung im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter lebt, um 662 € pro Monat bzw. 7.940 € im Jahr zu unterschreiten.

Grafik: Leistungsansprüche Status quo versus Modell der Bundesregierung auf Personen-Ebene

Grafik: Leistungsansprüche Status quo versus Modell der Bundesregierung auf Personen-Ebene

Die Grafik zeigt die Leistungsansprüche pro Person in einem Haushalt einer erwachsenen Frau mit erheblicher Behinderung, die in Wien mit ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt lebt. Eventuell vorhandene Einkommen werden gegengerechnet (mit Ausnahme Familienleistungen des Bundes etc.)

Links ist die Rechtslage des Status Quo in Wien dargestellt, rechts die Leistungen nach dem Modell im Entwurf für ein Bundesrahmengesetz für die „Mindestsicherung neu“.

Da die Leistungen für Lebensbedarf und Wohnbedarf nach dem Modell der Bundesregierung von den Ländern unter-, aber nicht überschritten werden dürfen, sind die entsprechenden Säulenabschnitte mit Farbverlauf dargestellt. Die Leistungshöhen stellen Maximal-Ansprüche dar. Die Zuschläge für das Wohnen und für Menschen mit Behinderung sind optional. Sie können von den Landesgesetzgebern vorgesehen werden, müssen aber nicht. Im Fall des Falles muss kein Rechtsanspruch vorgesehen werden; Betroffene können sich dann nicht wehren, wenn sie eine niedrigere oder gar keine Leistung erhalten. Diese Unsicherheiten werden durch die gestrichelte Umrandung illustriert.

Grafik: Leistungsansprüche Status quo versus Modell der Bundesregierung auf Ebene des Haushalts

Grafik: Leistungsansprüche Status quo versus Modell der Bundesregierung auf Ebene des Haushalts

Die Grafik zeigt die Leistungsansprüche eines Haushalts in Wien, der sich aus einer erwachsenen Frau mit so genannter erheblicher Behinderung und ihrer alleinerziehenden Mutter zusammensetzt. Die Beträge geben an, bis zu welcher Höhe das Haushaltskeinkommen (maximal) aufgestockt wird.
Links ist die Summe aller Ansprüche gemäß der Rechtslage des Status Quo in Wien dargestellt. Rechts die Summe der Leistungen nach dem Modell im Entwurf für ein Bundesrahmengesetz für die „Mindestsicherung neu“.

Beim Modell der Bundes-Regierung gibt es eine Minimal- und eine Maximal-Variante. Denn zum einen sind die Zuschläge für das Wohnen und für Menschen mit Behinderung für die Landesgesetzgeber optional. Es ist ihnen freigestellt, diese in ihren Landesgesetzen vorzusehen. Zum anderen dürfen die Leistungen für den Lebensbedarf und den Wohnbedarf nach dem Modell der Bundesregierung von den Ländern unter-, aber nicht überschritten werden. Deshalb sind die  entsprechenden Säulenabschnitte mit Farbverlauf dargestellt.

Wie hat die BAG gerechnet?

Der Status Quo in der Mindestsicherung in Wien

Leistungen an Sabine K.

  • Sabine K. gilt nach den Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes als Person mit erheblicher Behinderung. Das ist dann der Fall, wenn eine Person an einer nicht nur vorübergehenden (d.h. voraussichtlich mehr als drei Jahre dauernden) gesundheitlichen Beeinträchtigung leidet und der Grad der  Behinderung mindestens 50 Prozent beträgt oder aber die Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.Sind volljährige Personen auf Dauer nicht erwerbsfähig, dann werden sie in der Wiener Mindestsicherung auch dann wie Alleinlebende behandelt, wenn sie mit einem einzelnen Eltern- oder Großelternteil im gemeinsamen Haushalt leben („eigene Bedarfsgemeinschaft“; gilt z.B. nicht, falls sie z.B. mit (Ehe)-PartnerIn im Haushalt leben). Aufgrund ihrer Einstufung als Person mit erheblicher Behinderung wird Frau Sabine K. zum Personenkreis der dauerhaft nicht Erwerbsfähigen gerechnet, und sie wohnt mit ihrer Mutter im 2-Personen-Haushalt. Infolge dessen hat Frau Sabine K. Anspruch darauf, dass ihr Einkommen auf 100% des Ausgangswertes in der Mindestsicherung aufgestockt wird, im Jahr 2018 also auf 863 €.
  • Wien gewährt Personen, die mindestens 12 Monate nicht erwerbsfähig sind, jährlich zwei Sonderzahlungen (so genannte Dauerleistung). Weil sie zur Gruppe der dauerhaft nicht erwerbsfähigen Personen gerechnet wird, hat Frau Sabine K. Anspruch auf Dauerleistungen. Für das Rechenbeispiel wurden diese Sonderzahlungen auf ein Monatszwölftel umgerechnet (144 €).

Leistungen an Maria K.

  • Da ihre Tochter als eigene Bedarfsgemeinschaft gilt, hat auch die Mutter Maria K. Anspruch darauf, dass ihr Einkommen auf 100% des Ausgangswertes aufgestockt wird (863 €). Als alleinige weitere Person im Haushalt ist sie ebenfalls wie eine alleinstehende Person zu behandeln.

Leistungen an den Haushalt

  • Wien gehört zur Mehrheit jener Bundesländer, die derzeit Zusatzleistungen für das Wohnen gewähren. In WIEN heißt diese Zusatzleistung „Mietbeihilfe“, auf sie besteht ein Rechtsanspruch. Im konkreten Beispiel hat der gemeinsame Haushalt von  Sabine und Maria K. allerdings keinen Anspruch auf Mietbeihilfe. Denn die Summe der Leistungen für das Wohnen, die Frau Maria K. und Frau Sabine K. jeweils als Grundleistung erhalten, übersteigt die Mietbeihilfen-Grenze für einen 2-Personen-Haushalt.

Der Entwurf für ein Bundesrahmen-Gesetz „Mindestsicherung neu“

Leistungen an Sabine K.

  • Menschen mit Beeinträchtigungen werden bei den Grundleistungen so behandelt wie alle anderen Anspruchsberechtigten auch; für sie sind keine günstigeren Bestimmungen vorgesehen. Frau Sabine K. ist nach dem Entwurf für ein Rahmengesetz als Erwachsene zu werten, die mit anderen Erwachsenen im gemeinsamen Haushalt lebt. Das Landesgesetz soll für sie maximal 70% des Ausgangswertes vorsehen dürfen. Überschreitungen sind nicht erlaubt, denn die Prozentsätze im Entwurf sind als Höchstleistungen definiert. Umgekehrt wäre es für die Länder möglich, einen geringeren Prozentsatz vorzusehen. Dieser könnte auch deutlich geringer sein, denn der Entwurf sieht keine Mindestleistungen vor. Damit stehen Frau Sabine K. als Grundleistung maximal 604 € zu.
  • Der Entwurf gibt den Ländern die Möglichkeit, einen Zuschuss für Menschen mit Behinderung in ihre Landesgesetze aufzunehmen. Die Länder sind aber nicht verpflichtet, dies zu tun. Und falls sie es tun, müssen sie diese Zuschüsse nicht mit Rechtsanspruch ausstatten. Dann hätten Menschen mit Behinderung keine Möglichkeit, sich zu wehren, sollte ihnen der Zuschlag nicht oder in geringerer als Höhe vorgesehener gewährt werden. Im Fall des Falles und bei einer Gewährung in maximal möglicher Höhe würde Sabine K. aufgrund ihrer Behinderung einen Zuschlag in der Höhe von maximal 155 € erhalten.
  • Der Entwurf räumt den Ländern die Möglichkeit ein, Zusatzleistungen für das Wohnen vorsehen. Auch hier gilt: die Länder können diese gewähren, müssen es aber nicht. Allerdings sieht der Entwurf eine Deckelung der Zusatzleistungen für das Wohnen vor. Sie sollen maximal 30% der zustehenden Grundleistung für Lebensbedarf und Wohnen betragen dürfen. Sabine K. könnte also zusätzlich maximal 181 € für das Wohnen erhalten. Diese Zusatzleistung dürfte sie aber nicht direkt erhalten; sie würde direkt an die Vermieterin/den Vermieter überwiesen werden müssen.

Leistungen an Maria K.

  • Um als Alleinerziehende zu gelten, dürfen alleinerziehende Elternteile ausschließlich mit minderjährigen Personen zusammen leben. Etwaige Unterhalts-Verpflichtungen gegenüber volljährigen Kindern, wie sie bei Eltern volljähriger Söhne und Töchter mit erheblicher Behinderung jedenfalls bestehen, werden ignoriert. Maria K. hätte deshalb nur mehr Anspruch auf maximal 70% statt wie bisher 100% des Ausgangswertes. Sie würde so wie ihre Tochter maximal 604 € Grundleistung für Lebensbedarf und Wohnen erhalten.
  • Auch Maria K. könnte das Land WIEN maximal 181 € zusätzlich für das Wohnen gewähren, sollte der tatsächliche Wohnaufwand mit der  Grundleistung für das Wohnen nicht gedeckt sein. Dies aber so wie im Falle ihrer Tochter als „Sachleistung“, die direkt an die Vermieterin/den Vermieter überwiesen werden müsste.

Quelle: Aussendung Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt, 19. Dezember 2018