Multiple Sklerose in der Arbeitswelt: Frühjahrssymposium der MS-Gesellschaft Wien

Spannende Vorträge, interessante Fragestellungen, anregende Diskussion: Am Frühjahrssymposium der MS-Gesellschaft Wien nahmen vor allem Berufstätige teil.

Am 10. März 2018 fand im Hörsaalzentrum des Wiener AKH das Frühjahrssymposium der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien zum Thema „Multiple Sklerose in der Arbeitswelt“ statt.

Nachdem die Geschäftsführerin der MS-Gesellschaft Wien, Karin Krainz-Kabas, rund 150 Interessierte begrüßt hatte, stellte Dr. Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer Österreich, Initiativen vor, die darauf abzielen, Menschen mit chronischen Erkrankungen an ihren Arbeitsplätzen zu halten bzw. wieder ins Erwerbsleben zu integrieren. Anschließend schilderte Mag. Martina Chlestil von der Arbeiterkammer Wien, welche arbeitsrechtlichen Bestimmungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung gelten.

Arbeiten mit einer chronischen Erkrankung

Dr. Martin Gleitsmann zufolge sind chronische bzw. nichtübertragbare Krankheiten für 77% der Krankheitslast in Europa verantwortlich, wobei 50 bis 80% der weltweiten Gesundheitsausgaben chronische Krankheiten betreffen. Die österreichische Gesundheitsbefragung 2014 habe ergeben, dass mehr als ein Drittel der Bevölkerung an einer dauerhaften Krankheit oder einem chronischen Gesundheitsproblem leidet.

Lösungsansätze

Um die Krankheitslast und daraus entstehende Kosten einzudämmen, plädiert der Leiter der Abteilung für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer für die Umsetzung von Disease Management-Programmen mit einem koordinierten Behandlungsablauf über Berufsgrenzen hinweg. Als Beispiel für ein solches Programm nannte er „Therapie Aktiv“ für Menschen mit Diabetes mellitus. Die Umsetzung dieses Programms verläuft Gleitsmann zufolge bis dato nicht ideal, zudem gebe es geringe Einschreiberaten. Hier sieht er enormes Verbesserungspotenzial, da ähnliche Programme im internationalen Vergleich durchaus gut funktionieren würden.

Wiedereingliederungsteilzeit

Gleitsmann betonte, dass er sich für die Verbesserung der Schnittstelle Gesundheitswesen – Arbeitswelt stark mache, da die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit fließend verlaufe.

„Ein gelungenes Beispiel für die Integration von Menschen nach einem langen Krankenstand ist die sogenannte Wiedereingliederungsteilzeit, die Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmern nach einem zumindest sechswöchigen Krankenstand eine sanfte Rückkehr in den Beruf ermöglicht, ohne dass es für die Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite zu finanziellen Nachteilen kommt. Das Wiedereingliederungsgeld kann seit Juli 2017 für einen Zeitraum von sechs Monaten in Anspruch genommen werden, wobei sich die Bezugsdauer einmalig um drei Monate verlängern lässt.“
Dr. Gleitsmann.

Voraussetzungen

Die Wiedereingliederungsteilzeit basiert auf einer freiwilligen Vereinbarung nach einem zumindest sechswöchigen Krankenstand unter Einbeziehung des fit2work Case Managements oder eines Arbeitsmediziners bzw. einer Arbeitsmedizinerin. „Darüber hinaus muss ein Wiedereingliederungsplan erarbeitet und eine Bewilligung durch den chef- und kontrollärztlichen Dienst des zuständigen Krankenversicherungsträgers eingeholt werde“, so der Jurist.

Er erklärte weiter, dass die Arbeitszeit um mindestens 25% und höchstens 50% reduziert werden könne, wobei die minimale wöchentliche Arbeitszeit 12 Stunden betrage. Darüber hinaus müssten die durchgeführten Tätigkeiten vom Arbeitsvertrag gedeckt sein.

Während der Wiedereingliederungsteilzeit steht Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer das aliquote Entgelt aus der Teilzeitbeschäftigung plus das Wiedereingliederungsgeld aus Mitteln der Krankenversicherung zu. Gleitsmann zufolge werden die Sozialversicherungsbeiträge in diesem Zeitraum auf der Basis eines Vollzeitentgelts einbezahlt.

Streifzug durch das Arbeitsrecht

Im Anschluss an den Vortrag von Dr. Gleitsmann stellte Mag. Martina Chlestil von der Arbeiterkammer Wien für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung geltende arbeitsrechtliche Bestimmungen vor – beispielsweise das Behinderteneinstellungs-, das Angestellten-, das Urlaubs-, das ArbeitnehmerInnenschutz- und das Arbeitsverfassungsgesetz. Auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen fand Eingang in den Vortrag.

Die Juristin erläuterte, wer dem Kreis der begünstigten behinderten Personen angehört und wo entsprechende Anträge einzubringen sind, worin sich der Behindertenpass von einem Feststellungsbescheid entscheidet und dass der Grad der Behinderung nichts über die Leistungsfähigkeit aussagt.

Beschäftigungspflicht und besondere Fürsorgepflicht

Arbeitsgeber haben laut Mag. Chlestil eine besondere Fürsorgepflicht für ihre Angestellten und müssen angemessene Vorkehrungsmaßnahmen treffen. Dabei müsse auf den individuellen Gesundheitszustand der Beschäftigten Rücksicht genommen werden.

Die Expertin für Arbeitsrecht erklärte auch die geltenden Regelungen hinsichtlich der Beschäftigungspflicht von Unternehmen und der Ausgleichstaxe, die diese bezahlen müssen, wenn sie nicht genügend oder keine behinderten Personen beschäftigen.

Besonderer Kündigungsschutz

Was es mit dem Kündigungsschutz auf sich hat und wie sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Diskriminierung schützen können, war ein weiteres wichtiges Thema des Vortrags. Begünstigte Personen könnten Chlestil zufolge nämlich nicht ohne weiteres gekündigt werden. So erfordere jede Kündigung die Zustimmung des Behindertenausschusses. Komme es dennoch zur Kündigung, könne diese wegen einer Diskriminierung aufgrund der Behinderung oder wegen Sozialwidrigkeit bzw. eines verpönten Motivs angefochten werden. Werde ein Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst, sei die Auflösung kaum anfechtbar, erklärte die Juristin.

Förderung und Unterstützung

Mag. Chlestil gab auch einen Überblick über Förder- und Unterstützungsangebote, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung in Anspruch nehmen können. So könnten Individualförderungen wie beispielsweise technische Arbeitshilfen oder die Übernahme von Schulungskosten, Ausbildungsbeihilfen oder Gebärdensprachdolmetschkosten beantragt werden. Darüber hinaus gebe es Lohnförderungen wie die Entgeltbeihilfe, die Arbeitsplatzsicherungsbeihilfe und die Eingliederungsbeihilfe des AMS.

„Berufstätige Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, werden durch Maßnahmen wie ein Orientierungs- und Mobilitätstraining gefördert. Zudem können sie unter besonderen Voraussetzungen bei der Anschaffung eines Assistenzhundes finanziell unterstützt werden. Daneben gibt es bei einem unzumutbaren Gebrauch öffentlicher Verkehrsmittel den Mobilitätszuschuss und Unterstützung bei der Erlangung der Lenkerberechtigung und dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs. Die entsprechenden Anträge müssen beim Sozialministeriumservice bzw. beim AMS eingebracht werden.“
Mag. Martina Chlestil

Unternehmerinnen und Unternehmer mit Behinderung

Behinderte selbstständig Erwerbstätige können Hilfe zur wirtschaftlichen Selbständigkeit, aber auch Förderungen bei behinderungsbedingten Mehraufwänden in Anspruch nehmen. Chlestil verwies in diesem Zusammenhang auf die Aktion „Barrierefreie Unternehmen“.

Vorteile für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber

Die Arbeitsrechtlerin lieferte eine Reihe von Argumenten für die Beschäftigung von Personen mit Behinderungen, die oft besonders motiviert und leistungsbereit seien. So hätten aktuelle Studien ergeben, dass Diversität einen Erfolgsfaktor für Unternehmen darstellt. Darüber hinaus müssen Betriebe, die behinderte Menschen einstellen, weder eine Ausgleichstaxe noch die Kommunalsteuer bezahlen. Auch Beiträge wie Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds und die Landeskammerumlage würden für diese Unternehmen entfallen, in Wien darüber hinaus auch die U-Bahn-Steuer.

Nach den beiden Vorträgen und der anschließenden Diskussion gab es ein entspanntes „get together“ beim Buffet.