Epstein Barr-Virus: Ursache für MS endlich gefunden?

Ein Zusammenhang zwischen dem Epstein-Barr-Virus und Multipler Sklerose wird seit vielen Jahren vermutet. Eine in „Science“ veröffentlichte Studie ergab, dass eine Infektion das Risiko, innerhalb der kommenden zehn Jahre Multiple Sklerose zu entwickeln, um das 32-Fache erhöht.

Labormitarbeiter hält Blutprobe, Credit: Canva

von Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer, Präsident der Österreichischen und Vizepräsident der Wiener Multiple Sklerose Gesellschaft

Ein Zusammenhang zwischen dem Epstein-Barr-Virus, das auch das Pfeiffersche Drüsenfieber auslöst und ein Leben lang im Körper bleibt, und Multipler Sklerose wird seit vielen Jahren vermutet. Im Zuge einer im Fachmagazin „Science“ veröffentlichten Studie wurden die Gesundheitsdaten von 10 Millionen Angehörigen des US-amerikanischen Militärs ausgewertet. Dabei kam heraus, dass eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus das Risiko, innerhalb der kommenden zehn Jahre eine Multiple Sklerose zu entwickeln, um das 32-Fache erhöht.

Im Rahmen dieser Studie wurden die Daten von 10 Millionen US-amerikanischen Militärangehörigen ausgewertet, die sich zwischen 1993 und 2013 vor ihrer Aufnahme in den Militärdienst einem HIV-Test unterziehen mussten. Diese Proben wurden später auch dazu verwendet, um eine vorausgegangene Epstein Barr-Virus-Infektion nachzuweisen. Insgesamt wurden 955 Personen identifiziert, die im späteren Leben an Multipler Sklerose erkrankten. Bei 801 von diesen lagen auch Daten zum Epstein Barr-Virus vor und bei 800 davon fanden sich Hinweise für eine vorangegangene Infektion mit dem Epstein Barr Virus.

In der Allgemeinbevölkerung liegt der Anteil an Personen mit positiven Epstein Barr-Virus-Nachweis bei rund 95%, das heißt, sie hatten irgendwann Kontakt mit dem Virus (entweder in Form der Erkrankung „Pfeiffersches Drüsenfieber“ oder wie in der Mehrzahl der Fälle in Form einer „stummen Infektion“).

Was ist neu an den Ergebnissen dieser Studie?

Schon bisher wurde aufgrund epidemiologischer Studien vermutet, dass das Epstein Barr-Virus, neben anderen Risikofaktoren wie der genetischen Disposition, Übergewicht in der Jugend, Zigarettenrauchen oder Vitamin D3 einen Risikofaktor für die Entstehung von Multipler Sklerose haben dürfte.

Neu an den vorliegenden Ergebnissen ist allerdings das Ausmaß in dem das Epstein Barr-Virus auf die Entstehung der Multiplen Sklerose Einfluss nimmt. Ging man bisher davon aus, dass eine Epstein Barr-Virus-Infektion, das Risiko, später an Multipler Sklerose zu erkranken, für sich alleine nur um den Faktor 3 erhöht und zusammen mit einer genetischen Prädisposition immerhin um den Faktor 15, so zeigte sich in der vorliegenden Arbeit eine Erhöhung des Risikos um das 32-Fache!

Was bedeuten diese Ergebnisse konkret für mich als MS-Betroffene?

Es mag ein Zufall sein, dass die Ergebnisse dieser Studie just zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wurden, als im „Windschatten“ der Covid-19-Pandemie die Technik der mRNA-Impfung die Erfolgsaussichten auch für die Entwicklung weiterer Impfstoffe in einem sehr positiven Licht erscheinen lässt. So wird gegenwärtig von der Firma Moderna, die auch einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 im Angebot hat, ein mRNA-Impfstoff gegen EBV entwickelt.

Sollte ein solcher Impfstoff irgendwann tatsächlich zur Verfügung stehen, bleiben für dessen Einsatz im Hinblick auf die Multiple Sklerose aber einige Aspekte zu bedenken:

  • Für Menschen, bei denen bereits eine Multiple Sklerose besteht, wird ein solcher Impfstoff keine therapeutische Relevanz haben.
  • Nachdem die Epstein Barr-Virus-Infektion in vielen Fällen klinisch stumm verläuft und auch das Pfeiffersche Drüsenfieber (anders als etwa Covid-19) keine lebensbedrohliche Erkrankung ist, müsste die Sicherheit und Verträglichkeit der Impfung extrem gut sein, um eine generelle Impfung zur Multiple Sklerose-Prävention empfehlen zu können. Andernfalls wäre ein Screeningtest notwendig, um Menschen, die ein (z.B. genetisch bedingtes) erhöhtes Multiple Sklerose-Risiko haben, zu identifizieren. Auf die medizinethischen Bedenken gegen eine solche genetische Testung soll hier nicht weiter eingegangen werden.
  • Die generelle Impfskepsis (unter Menschen mit Multipler Sklerose wie auch in der Allgemeinbevölkerung), welche durch die SARS-CoV-2-Pandemie wieder eindrücklich zutage gefördert wurde, ist ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang bedacht werden muss.

Schlussendlich sollte bei all der Euphorie um eine möglich Epstein Barr-Virus-Impfung zur langfristigen „Ausrottung“ der Multiplen Sklerose nicht vergessen werden, dass die Epstein Barr-Virus-Infektion wohl nur ein (wenn auch gewichtiger) Stein im Ursachen-Puzzle der Multiplen Sklerose ist. Und bis der Stellenwert der Epstein Barr-Virus-Infektion als Auslöser von Multipler Sklerose zweifelsfrei geklärt und eine Impfung gegen das Virus verfügbar sein wird, sollten wir daran denken, dass auch Übergewicht in der Jugend, Rauchen und Vitamin D-Mangel durch ungenügende Bewegung an der frischen Luft einen Beitrag zur Entstehung der Krankheit leisten könnten. Faktoren, die wir bei unseren Kindern aber auch uns selbst schon jetzt durch eigene Initiative positiv beeinflussen können.

Literatur

Bjornevik K, Cortese M, Healy BC et al. Longitudinal analysis reveals high prevalence of Epstein-Barr virus associated with multiple sclerosis. Science. 13 Jan 2022. DOI: 10.1126/science.abj8222. https://www.science.org/doi/10.1126/science.abj8222

Olsson T, Barcellos LF, Alfredsson L. Interactions between genetic, lifestyle and environmental risk factors for multiple sclerosis. Nat Rev Neurol. 2017 Jan;13(1):25-36. doi: 10.1038/nrneurol.2016.187. Epub 2016 Dec 9.PMID: 27934854 Review