Multiple Sklerose, Corona und die Impfung: Aktuelle Empfehlungen für Menschen mit Multipler Sklerose

Die Präsidentin der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien, Univ. Prof. Dr. Barbara Kornek, beschreibt die COVID-19-Impfung bei Menschen mit Multipler Sklerose, deren Sicherheit und Wirksamkeit, die Anwendung der Impfung in Schwangerschaft und Stillzeit, sowie die sogenannte Boosterimpfung.

 

Beine auf Sportplatz vor Ziel mit Aufschrift "COVID-19", Text: Multiple Sklerose, Corona und die Impfung, Credit: Canva

Die vierte Welle der COVID-19-Pandemie hat die höchsten Zahlen an Neuinfektionen pro Tag seit Beginn der Pandemie verursacht. Für viele geschah dies unerwartet, für manche auch vorhersehbar. Wie uns die Impfquoten zeigen, ist für den Großteil der Menschen klar, dass die Impfung der wirksamste und auch der sicherste Weg ist, aus der Pandemie herauszukommen. Dennoch gibt es viele Menschen, die – aus verschiedensten Gründen – Angst oder zumindest Bedenken haben, sich impfen zu lassen.

Multiple Sklerose und die COVID-19-Infektion: UPDATE

Zuletzt wurden immer größere Untersuchungen von Menschen mit Multipler Sklerose (MS), die an COVID-19 erkrankt sind, veröffentlich. Diese bestätigen zum Großteil jene Erkenntnisse, die schon im ersten Jahr der Pandemie angenommen worden waren.

Es gibt mehrere Risikofaktoren für einen schweren COVID-19 Verlauf, davon sind viele von Multipler Sklerose unabhängig, manche für Multiple Sklerose spezifisch. Zu den Multiple Sklerose-unabhängigen Risikofaktoren zählen ein höheres Alter sowie eine Vielzahl von Begleiterkrankungen wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Zuckerkrankheit, Übergewicht u.a.

Menschen mit Multipler Sklerose können zusätzlich ein höheres Risiko haben, wenn eine Beeinträchtigung ihrer Mobilität vorliegt, aber auch, wenn sie unter einer Behandlung mit einem Anti-CD20-Antikörper stehen. Dazu gehören zunächst Ocrelizumab und Rituximab. Zum erst kürzlich zugelassenen Wirkstoff Ofatumumab liegen bislang nur wenige Daten vor.

Dies bedeutet nicht, dass alle Menschen unter einer dieser Therapien schwer krank werden, wenn sie sich mit dem Corona-Virus infizieren, sondern dass etwas mehr Menschen unter einer dieser Therapien einen schwereren Verlauf erleiden als unter anderen Multiple Sklerose-Therapien.

Dennoch empfehlen wir im Allgemeinen nicht, diese Medikamente abzusetzen, da die Vorbeugung von Schüben und Multiple Sklerose-bedingter Verschlechterung weiterhin höchste Priorität hat.

Höheres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf bei Menschen mit Multipler Sklerose Menschen mit MS, die älter als 60 Jahre sind Menschen mit progredienter MS Männer mit MS Menschen mit einem höheren Behinderungsgrad Menschen mit MS, die zusätzlich zuckerkrank sind, Übergewicht haben oder an einer Erkrankung von Herz oder Lunge leiden Menschen mit MS unter Anti-CD20-Therapie (siehe Text)

Die Impfung gegen COVID-19

Es gilt weiterhin, dass alle in der Europäischen Union zugelassenen Impfstoffe bei Menschen mit Multipler Sklerose angewendet werden dürfen: Sowohl die mRNA-Impfstoffe (von BioNtech/Pfizer und Moderna) als auch die Vektorimpfstoffe (von Astra Zeneca und Janssen).

Aufgrund der geringeren Wirksamkeit der einmaligen Impfung mit dem Impfstoff von Janssen wird in Österreich eine zweite Impfung, vorzugsweise mit einem mRNA-Impfstoff, ab 28 Tagen nach der Erstimpfung („off-label“) empfohlen.

Im Hinblick auf die Corona-Impfung von Menschen mit Multipler Sklerose wissen wir heute deutlich mehr als vor einem halben Jahr, da sich mittlerweile zahlreiche Menschen mit Multipler Sklerose bereits impfen ließen und viele Daten über die Sicherheit und die Wirksamkeit der zugelassenen Corona-Impfstoffe bei Multipler Sklerose vorliegen.

Sicherheit der COVID-19-Impfung bei Menschen mit Multipler Sklerose

Alle vorliegenden Untersuchungen zeigen, dass die zugelassenen Impfstoffe bei Menschen mit Multipler Sklerose keine anderen oder schwereren Impfreaktionen hervorrufen als bei Personen ohne Multipler Sklerose. Dies bedeutet, dass die üblichen Impfreaktionen wie Fieber, Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen oder Müdigkeit auch bei Menschen mit Multipler Sklerose auftreten können, in der Regel mild bis mäßig sind und nach einigen Tagen vorbeigehen. Zwar können Multiple Sklerose-Symptome durch Fieber vorübergehend zunehmen, doch bislang kam es nicht zu vermehrten Schüben in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. Bei keinem der bislang zugelassenen COVID-19-Impfstoffe handelt es sich um einen Lebendimpfstoff. Somit können alle zugelassenen Impfstoffe bei Menschen mit Multipler Sklerose angewendet werden.

Wirksamkeit der COVID-19-Impfung bei Menschen mit Multipler Sklerose

Manche Medikamente, die bei Multipler Sklerose verwendet werden, können die Wirksamkeit der Impfung herabsetzen. Dazu gehören die Anti-CD20-Therapien (Rituximab, Ocrelizumab, Ofatumumab) und die S1P-Rezeptermodulatoren (Fingolimod, Siponimod, Ozanimod, Ponesimod).

Ein Antikörpertest kann daher unter diesen Therapien eine fehlende oder nur geringe Antikörperantwort zeigen. Antikörper sind aber nur ein Teil der Impfantwort, und derzeit können wir anhand des Antikörperspiegels im Blut nicht genau vorhersagen, wie gut der Schutz vor einer COVID-19 Infektion oder einem schweren Verlauf ist. Auch T-Zellen werden durch die Impfung aktiviert und können zum Impfschutz beitragen. Die T-Zell-Antwort wird bei Antikörpertests nicht erfasst und ist im Hinblick auf den Schutz vor einer (schweren) Infektion noch nicht ausreichend untersucht.

Daher gelten weiterhin folgende Empfehlungen:

Menschen mit MS sollen sich gegen COVID-19 impfen lassen, unabhängig von Alter, Behinderung, Begleiterkrankung und Therapie. Diese Empfehlung beinhaltet auch Menschen mit MS, bei denen aufgrund der Medikamente die Impfung unter Umständen weniger wirksam ist, sowie junge Multiple Sklerose-Betroffene ab 12 Jahren. Verwandte und Betreuungspersonen von Menschen mit MS sollen sich impfen lassen. Dies dient dem eigenen Schutz, aber auch dem Schutz ihrer von MS betroffenen Angehörigen. Das Absetzen einer Therapie, um den Impfschutz zu verbessern, ist nicht empfohlen. Wenn es die MS-Aktivität zulässt, kann erwogen werden, den Therapiestart zu verschieben oder die Therapieintervalle zu verändern, um eine gute Impfantwort zu erhalten. Diese Strategie ist immer eine Einzelfallentscheidung und muss mit dem behandelnden Arzt bzw. der Ärztin sorgfältig abgewogen werden. Personen, bei denen die Impfung weniger wirksam ist, sollen die Vorsichtsmaßnahmen wie das Tragen von FFP2-Masken und das Einhalten der Abstandsregeln besonders beachten.

Die dritte Impfung („Auffrischungs“- bzw. Boosterimpfung)

Die Wirksamkeit der COVID-19 Impfung lässt nach einigen Monaten nach. Auch wenn durch die Impfung schwere Verläufe weiterhin großteils verhindert werden können, sehen wir, dass sich auch vollständig Geimpfte mit dem Corona-Virus anstecken und dieses dadurch an andere Menschen weitergeben können. Gleichzeitig zeigen Daten aus Israel, Schweden und Großbritannien, dass durch die dritte Impfung solche Impfdurchbrüche deutlich reduziert werden können. Für die dritte Impfung werden die mRNA -Impfstoffe von Pfizer/BioNtech bzw. von Moderna verwendet.

In Österreich kann laut den Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums bei Menschen ab 18 Jahren die dritte Impfung ab vier Monaten („off-label“-Anwendung) und soll ab sechs Monaten nach der zweiten Impfung durchgeführt werden.

Die dritte Impfung ist daher auch bei Menschen mit Multipler Sklerose notwendig und empfohlen. Bei fehlendem Impfansprechen, wie es unter Anti-CD20 Therapien vorkommen kann, kann eine vierte Impfung („off-label“) erwogen werden. Diese besonderen Situationen müssen im Einzelfall besprochen werden.

Grippeimpfung

Die Impfung gegen die saisonale Grippe („Influenza“) ist bei Menschen mit Multipler Sklerose ebenso empfohlen. Es muss kein bestimmter Abstand zur COVID-19 Impfung eingehalten werden.

Schwangerschaft und Stillzeit

Eine COVID-19-Infektion in der Schwangerschaft kann zu schweren Verläufen führen, es besteht auch ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt. Alle bisherigen Daten weisen auf kein erhöhtes Risiko der Impfung im zweiten und dritten Drittel der Schwangerschaft hin, auch wenn die Anwendung „off-label“ erfolgt. Daher haben viele Fachgesellschaften mittlerweile die COVID-19 Impfung mit einem mRNA-Impfstoff, bevorzugt mit jenem von BioNtech/Pfizer, bei Schwangeren und in der Stillzeit empfohlen.

Quellen (Auszug):

  1. sozialministerium.at; Covid-19-Impfungen: Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums, Version 6.1, Stand 22.11.2021
  2. msif.org; MS, the coronavirus and vaccines-updated global advice, Stand 19.11.2021
  3. Barda N, Dagan N, Cohen C, et al. Effectiveness of a third dose of the BNT162b2 Covid-19 vaccine for preventing severe outcomes in Israel: an observational study. 2021 Oct 29:S0140-6736(21)02249-2. doi: 10.1016/S0140-6736(21)02249-2. Online ahead of print.
  4. Sormani MP, De Rossi N, Schiavetti I, et al. Disease-modifying therapies and Coronavirus Disease 2019 in multiple sclerosis. Ann Neurol 2021 Apr;89(4):780-789. doi: 10.1002/ana.26028. Epub 2021 Feb 9.PMID: 33480077