Neuer Biomarker für frühe MS-Risikoeinschätzung und gezielte Therapiewahl

Im Rahmen einer Beobachtungsstudie identifizierten österreiche Forschende ein in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit nachweisbares Protein, die sogenannten κ-freien Leichtketten, als unabhängigen Biomarker für die frühe Prognose des Krankheitsverlaufs bei Multipler Sklerose.

Priv.Doz. Dr. Harald Hegen PhD, (c) Martin Vandory

 „Der neue Biomarker birgt einen zusätzlichen Nutzen zu bereits etablierten Risikofaktoren und bringt uns einen Schritt näher zur individualisierten Behandlung von Multipler Sklerose.“ Neuroimmunologe Priv. Doz. Dr. Harald Hegen, PhD (c) Martin Vandory

Im Rahmen einer Beobachtungsstudie identifizierte das Team um Priv. Doz. Dr. Harald Hegen, PhD vom klinisch-wissenschaftlichen Bereich Neuroimmunologie und Multiple Sklerose an der Universitätsklinik für Neurologie, Meduni Innsbruck  mit Kolleginnen und Kollegen in Wien und Graz ein in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit nachweisbares Protein, die sogenannten κ-freien Leichtketten (κ-FLC, kappa free light chain), als unabhängigen Biomarker für die frühe Prognose des Krankheitsverlauf bei Multipler Sklerose (MS).

Frühe Prognose optimiert personalisierte Multiple Sklerose-Therapie

Wie lange Menschen mit Multipler Sklerose ab dem Beginn der Erkrankung ohne Einschränkungen bleiben bzw. wann der nächste Krankheitsschub auftritt, ließ sich bislang kaum verlässlich vorhersehen. Abgesehen von der Anzahl entzündlicher Läsionen im Gehirn, die mittels Magnetresonanztomographie (MRT) dargestellt werden können und eine gewisse Einschätzung des Krankheitsverlaufs erlauben, sind weitere Stratifizierungskriterien rar, denn damit der Nutzen gegen die Risiken unterschiedlicher Immuntherapien im Einzelfall abgewogen werden kann, ist die Erstellung einer individuellen Prognose notwendig.

κ-FLC Index als unabhängiger Marker bestätigt

In die Innsbrucker Untersuchung wurden insgesamt 88 Studienteilnehmende zum Zeitpunkt des ersten klinischen Ereignisses, etwa einer Rückenmarks- oder Sehnerventzündung, eingeschlossen und vier Jahre lang beobachtet. Das Durchschnittsalter der Probandinnen und Probanden lag bei 33 Jahren, zwei Drittel waren Frauen.

„Bei hoher Krankheitsaktivität ist die Zeit bis zum zweiten Schub kürzer, erfolgt dieser erst später, ist die Langzeitprognose besser. Eine Vorhersage zu Beginn der Erkrankung ist schwierig und erschwert oft die Therapieentscheidung.“
Priv. Doz. Dr. Harald Hegen

In der Studie wurde nun anhand einer initialen Liquor-Probe der κ-FLC Index bestimmt und schließlich mit der Zeit bis zum Auftreten des zweiten Krankheitsschubes korreliert.

Die Auswertung ergab, dass Patientinnen und Patienten mit einem hohen κ-FLC Index (über 100) ein vierfach erhöhtes Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf hatten. Die Zeit bis zum zweiten Schub betrug im Schnitt lediglich 11 Monate, während bei Studienteilnehmenden mit einem niedrigen κ-FLC Index (100 oder weniger) durchschnittlich erst nach 36 Monaten ein zweiter Schub auftrat.

„Auch unter Berücksichtigung bekannter prädiktiver Faktoren wie Alter, Geschlecht, MRT Läsionslast und -aktivität, erwies sich der κ-FLC Index als unabhängiger Marker, mit dem Patientinnen und Patienten mit höherer Krankheitsaktivität früh identifiziert und damit der für sie geeigneten Therapie zugeführt werden können“, betont Hegen.

In der Diagnostik der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit sind zum Nachweis von Entzündungsprozessen im zentralen Nervensystem bereits seit Jahrzehnten die sogenannten oligoklonalen Banden (Immunglobuline vom Typ IgG) etabliert – allerdings nur mit der Möglichkeit eines positiven oder negativen Ergebnisses. „Nachdem bei rund 90 Prozent der Patientinnen und Patienten mit MS ohnehin oligoklonale Banden nachweisbar sind, ist ihr prognostischer Wert sehr limitiert. Der κ-FLC Index erlaubt hier erstmals eine weitere Stratifizierung. Außerdem besticht dieser Marker durch niedrigere Kosten und deutlich schnellere Ergebnisverfügbarkeit“, so Hegen.

Forschungsarbeit
Kappa free light chains in cerebrospinal fluid predict early multiple sclerosis disease activity.