Behinderungszunahme bei MS im Zusammenhang mit Depressionen

Eine schwedische Kohortenstudie ergab bei depressiven Personen mit Multipler Sklerose ein vergrößertes Risiko der Zunahme von Behinderungen.

Symbolbild Psyche: schwarz gekleidete junge Frau mit schwarzem Schirm, Credit: Engin_Akyurt, Pixabay

Laut einer schwedischen Studie haben Personen mit Multipler Sklerose und komorbider Depression ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Verschlechterung der Behinderung.

Bei Menschen mit Multipler Sklerose (MS) treten häufig Depressionen auf. Um herauszufinden, wie sich Depressionen auf die Verschlechterung der Behinderung auswirken, untersuchten schwedische Forschende anhand einer landesweiten Längsschnittkohorte einen entsprechenden Zusammenhang.

Im Fachmagazin Neurology beschreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Universitätsspital Odense und dem Universitätsspital Karolinska in Stockholm, wie sie in ihrer retrospektiven Kohortenstudie Daten aus drei landesweiten schwedischen Registern verknüpften: dem MS-Register, dem nationalen Patientinnen- und Patientenregister sowie dem Register für verschriebene Arzneimittel.

Stefanie Binzer und ihre Kolleginnen und Kollegen entwickelten zwei Vorfallkohorten. So umfasste die erste Kohorte sämtliche registrierte Personen mit Multipler Sklerose anhand des MS-Register (2001–2014) mit Depressionen, während die zweite Kohorte sämtliche registrierten Personen umfasste, die ein Rezept für ein Antidepressivum erhalten hatten. Anschließend verglichen sie das Risiko des Erreichens von Meilensteinwerten für anhaltende Behinderungen der Grade 3, 4, und 6 auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS) zwischen Personen mit und ohne Depressionen.

Die Expanded Disability Status Scale (EDSS) gibt über den Grad der Behinderung von Menschen mit Multipler Sklerose Auskunft.

Die Skala reicht von einem EDSS-Wert von 0 bis 10, wobei die EDSS-Grade auf der Untersuchung der funktionellen Systeme wie der Pyramidenbahn (Auswirkung: z.B. Lähmung), des Kleinhirns (Auswirkung: z.B. Tremor, Ataxie), des Hirnstamms (Auswirkung: z.B. Sprach- und/oder Schluckstörung), des Sensoriums (Auswirkung: z.B. Verminderung des Berührungssinns), der Funktion von Blase und/oder Mastdarm (Auswirkung: z.B. Inkontinenz), der Sehfunktion (Auswirkung: z.B. eingeschränktes Gesichtsfeld) sowie der zerebralen Funktion (Auswirkung: z.B. Gedächtnisschwierigkeiten, Wesensveränderung) basieren .

Grad betroffene funktionelle Systeme Beschreibung
0,0 Grad 0 in allen funktionellen Systemen normale neurologische Untersuchung
1,0 Grad 1 in einem funktionellen System keine Behinderung, minimale Abnormität in einem funktionellen System
1,5 Grad 1 in mehr als einem funktionellen System keine Behinderung, minimale Abnormität in mehr als einem funktionellen System
2,0 Grad 2 in einem funktionellen System (andere 0 oder 1) minimale Behinderung in einem funktionellen System
2,5 Grad 2 in mehr als einem funktionellen System (andere 0 oder 1) minimale Behinderung in zwei funktionellen Systemen
3,0 Grad 2 in drei bis vier funktionellen Systemen  oder Grad 3 in einem funktionellen System (andere 0 oder 1) mäßiggrade Behinderung in einem funktionellen System oder leichte Behinderung in drei bis vier funktionellen Systemen bei vollkommener Gehfähigkeit
3,5 Grad 3 in einem funktionellen System und Grad 2 in ein bis zwei funktionellen Systemen oder Grad 3 in zwei funktionellen Systemen oder Grad 2 in fünf funktionellen Systemen (andere 0 oder 1) völlig gehfähig, aber mit mäßiger Behinderung in einem funktionellen System (Grad 3) und ein bis zwei funktionellen Systemen Grad 2; oder in zwei funktionelle Systemen Grad 3; oder in fünf funktionellen Systemen Grad 2
4,0 Grad 4 in einem funktionellen System (andere 0 oder 1) gehfähig ohne Hilfe und Rast für eine Strecke von 500 Metern. Aktiv während ca. 12 Stunden pro Tag trotz relativ schwerer Behinderung
4,5 Grad 4 in einem funktionellen System (andere 0 oder 1) gehfähig ohne Hilfe und Rast für eine Strecke von 300 Metern, ganztägig arbeitsfähig, gewisse Einschränkung der Aktivität, minimale Unterstützung nötig, relativ schwere Behinderung
5,0 Grad 5 in einem funktionellen System (andere 0 oder 1); oder Kombination niedrigerer Grade, aber über Grad 4,0 gehfähig ohne Hilfe und Rast für eine Strecke von 200 Metern, Behinderung beeinträchtigt tägliche Aktivität wie beispielsweise Fähigkeit zu Vollzeit-Berufstätigkeit ohne besondere Vorkehrungen
5,5 wie 5,0 gehfähig ohne Hilfe und Rast für eine Strecke von 100 Metern, Behinderung macht normale tägliche Aktivität unmöglich
6,0 Kombinationen von Grad 3 in mehr als zwei funktionellen Systemen  oder mehr Bedarf intermittierend oder auf einer Seite konstant, Gehhilfe erforderlich, um eine Strecke von 100 Metern ohne Rast zurückzulegen
6,5 wie 6,0 konstanter Bedarf von Gehhilfe auf beiden Seiten, um eine Strecke von 20 Metern ohne Rast zurückzulegen
7,0 Kombinationen von Grad 4 in mehr als zwei funktionellen Systemen  und mehr, selten Pyramidenbahn Grad 5 alleine unfähig, selbst mit Hilfe, mehr als eine Strecke von fünf Metern zu gehen, weitgehend auf einen Rollstuhl angewiesen, Rollstuhl kann ohne Hilfe bewegt und transferiert werden
7,5 wie 7,0 unfähig, mehr als ein paar Schritte zurückzulegen, auf den Rollstuhl angewiesen,  Hilfe für Transfer erforderlich, Rollstuhl kann selbst bewegt werden, kann jedoch nicht ganztägig im Rollstuhl verbringen, eventuell motorisierter Rollstuhl erforderlich
8,0 Kombinationen meist von Grad 4 und mehr in mehreren funktionellen Systemen weitgehend auf Bett oder Rollstuhl angewiesen, Körperpflege weitgehend ohne Hilfe möglich, Arme meist gut zu benützen
8,5 wie 8,0 weitgehend – auch tagsüber – auf Bett angewiesen, Arme teilweise zu benützen, teilweise Selbstpflege möglich
9,0 Kombinationen meist Grad 4 und mehr hilflos auf Bett angewiesen, Essen und verbale Kommunikation möglich
9,5 Kombinationen von fast ausschließlich Grad 4 und mehr gänzlich hilflos, braucht Unterstützung beim Essen, Schlucken und Kommunizieren
10,0 Tod infolge der Erkrankung

Ergebnisse

Die erste Kohorte umfasste 5.875 Personen, von denen 502 (8,5 %) Depressionen hatten. Die zweite Kohorte umfasste 3.817 Fälle, von denen 1.289 Personen (33,8 %) ein Rezept für eine Antidepressivum erhalten hatten.
Die Zusammenschau der Daten ergab, dass Personen mit Depressionen ein signifikant höheres Risiko hatten, anhaltende EDSS-Werte von 3, 4 und 6 zu erreichen. Ein ähnlich erhöhtes Risiko trat bei Personen zutage, denen Antidepressiva verschrieben worden waren.

Die Forschenden schließen aus dem Vergleich der Daten, dass Personen mit MS und komorbider Depression ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Verschlechterung der Behinderung hatten. Dieser Befund unterstreicht die Notwendigkeit einer frühzeitigen Erkennung und angemessenen Behandlung von Depressionen bei Menschen mit MS.

Literatur

Stefanie Binzer, Kyla A. McKay, Philip Brenner, Jan Hillert, Ali Manouchehrinia: Disability worsening among persons with multiple sclerosis and depression. A Swedish cohort study; Neurology; December 10, 2019; 93 (24); First published November 8, 2019, DOI: https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000008617

Depression

Depression kann individuell sehr unterschiedliche Ursachen haben, auch ihre Äußerungsformen sind vielfältig. Sie ist eine häufige Begleiterscheinung der immer wieder herausfordernden Auseinandersetzung mit der MS-Erkrankung und meist gut behandelbar. Dabei sind vor allem Psychotherapie und fachärztlich-medikamentöse Behandlung hilfreich, oft auch eine Kombination aus beidem.

Ein sinnvoller erster Schritt ist, Ängste und Sorgen konkret zu benennen und zu hinterfragen, wobei dem Gespräch mit der behandelnden Neurologin bzw. dem behandelnden Neurologen eine besondere Rolle zukommt. Vielfach steht dafür in der medizinischen Praxis nicht im optimalen Maß Zeit zur Verfügung.

Die MS-Gesellschaft Wien bietet dafür ausführliche psychosoziale Beratungsgespräche an, die Gelegenheit bieten, belastende Fragen anzusprechen, Möglichkeiten zu klären und Perspektiven zu entwickeln.

Darüber hinaus kann auch kostenlos Psychotherapie im Ausmaß von 20 Einheiten in Anspruch genommen werden.

MS und Psyche. Krankheitsverarbeitung bei Multipler Sklerose

Mag. Julia Asimakis und Mag. Kerstin Huber-Eibl von der MS-Gesellschaft Wien verfassten die 36-seitige Broschüre “MS und Psyche. Krankheitsverarbeitung bei Multipler Sklerose”. Darin werden ausführlich mögliche emotionale Reaktionen und Problembereiche, die bei der Diagnose „Multiple Sklerose“ typi-scherweise entstehen können, behandelt. Die Broschüre bietet auch Unterstützung, den eigenen Weg zu finden.

Die 36-seitige Broschüre MS und Psyche. Krankheitsverarbeitung bei Multipler Sklerose behandelt ausführlich mögliche emotionale Reaktionen und Problembereiche, die bei der Diagnose „Multiple Sklerose“ typischerweise entstehen können und bietet Unterstützung dabei, den eigenen Weg zu finden.