Thriller „Maske der Schuld“

Nach der „Maske der Gewalt“ erschien am 18. Februar mit der „Maske der Schuld“ der zweite Band der Thriller-Reihe von Jennifer B. Wind. Die Bestseller-Autorin widmet einen langen Handlungsstrang einer Frau, die sich aufgrund ihrer MS-Erkrankung in eine Reha-Einrichtung begibt.

Wenn die Angst vor dem Tod einem Mörder die Tür öffnet … der zweite Fall für den unkonventionellen Ermittler Richard Schwarz.

Wenn die Angst vor dem Tod einem Mörder die Tür öffnet … der zweite Fall für den unkonventionellen Ermittler Richard Schwarz.
Jennifer B. Wind: Die Maske der Schuld

Der zweite Richard-Schwarz-Thriller.
Edition M., 360 Seiten, 9,99 EUR, ISBN: 9782919804153

Eine Leiche mit schrecklichen Verletzungen an Körper und Schädel wird aus der Donau gefischt. Richard Schwarz vom LKA kennt den Toten: Jan Dorn, ein schwer erkrankter ehemaliger Polizeikollege. Die Ermittlungen führen ihn in Jans Selbsthilfegruppe, in der mit jedem neuen Medikament der Pharmaindustrie Hoffnungen geweckt werden. Die Angst vor dem Tod ist ein grausames Spiel mit Versuchsstudien und Wunderheilern. Entschlossen setzt Richard alles daran, dem perfiden Treiben ein Ende zu bereiten. Doch ein Geheimnis aus seiner eigenen Vergangenheit kommt ans Licht und wirft Schatten auf den aktuellen Fall. Entsetzt muss Richard feststellen, dass der Mörder ihm stets einen Schritt voraus ist.

Textausschnitt: Reha, Tag 1

Ein Einzelbett. Ein Schrank. Ein Spiegel. Ein Schreibtisch mit Stuhl davor. An der Wand hängt ein kleiner Fernseher. Über dem Bett ein Bild: ein Strauß Lilien in einer bunten Vase. Eine Tulpe steht auf dem runden Tisch am Fenster neben der Terrassen-Türe: rot. Noch ein Sessel. Helles Holz, bunter Stoff. Wie alles hier. Nur auf den ersten Blick sieht es aus wie ein spartanisch eingerichtetes rustikales Hotelzimmer, wenn auch der Linoleumboden schon der erste Hinweis ist, dass dem nicht so ist. Die Türe rechts führt ins Bad. Es ist größer als viele Bäder. Und sie weiß, warum. Handläufe an den Wänden, Dusche mit ebenem Einstieg, ein Hocker zum Runterklappen. Das Waschbecken höhenverstellbar. Der Spiegel auch. Bei der Toilette und in der Dusche baumelt ein rotes Band mit einem Knauf dran. Dasselbe Band hängt auch neben dem Bett. Das ist ihre Bleibe für die nächsten sechs Wochen.

Sie hebt den Koffer mit einem Arm auf das Bett, bereut es kurz danach, denn sie ist müde. Und diese Müdigkeit breitet sich rasch aus. Zuerst sind nur die Beine bleiern schwer, dann die Arme. Sie setzt ein Bein vor das andere, es ist, als würde sie durch Schlamm waten. Durch die Sümpfe der Traurigkeit wie das Pferd Artax in Die unendliche Geschichte. Du darfst dich nicht davon überwältigen lassen, hört sie Atreyu rufen. Doch Atreyu weiß nicht, wie es ist. Wenn alles in einem und an einem so müde ist. Es ist nicht wie diese Trägheit nach einem harten Arbeitstag. Oder diese Abgeschlagenheit nach einer durchzechten Nacht. Die Entkräftung nach einer langen Wanderung durch Berg und Tal. Es ist alles zusammen und doch ganz anders. Wirklich verstehen kann es nur jemand, der das Gefühl kennt.

Sie will der Erschöpfung nicht nachgeben, noch nicht.

Also setzt sie sich auf den Stuhl vor den Schreibtisch. Nimmt ein Blatt Papier, da das Tagebuch, das sie gekauft hat, um ihre Eindrücke hier aufzuschreiben, noch im Koffer ist.

Der Stift zwischen ihren Fingern fühlt sich an wie eine Eisenstange. Zu schwer, zu glatt. Mehrmals entgleitet er ihr. Langsam kratzt sie die Worte auf das Papier. Dann mitten im nächsten Satz … Stille im Kopf. Das Wort ist nicht da. Sie weiß, was sie schreiben will, aber das Wort will sich nicht in ihrem Geist formen. Jedes Synonym fällt ihr ein, nur nicht dieses eine Wort, das sie unbedingt schreiben will. Eines der Symptome. Das Unwillkommenste. Denn Worte sind Teil ihres Berufs. Was wird sie tun, wenn ihr irgendwann keine Worte mehr einfallen oder nur die falschen? Die Eisenstange in der rechten Hand kippt. Das Papier verschwimmt vor den Augen. Mit der Hand zerknüllt sie es. Das Rascheln kann sie hören, doch sie kann es nicht fühlen. Ihre Fingerkuppen sind taub. Gleichzeitig brennt es unter der Haut. Am liebsten würde sie sie runterreißen. Nichts geht mehr. Sie kämpft sich vom Stuhl hoch und wankt zum Bett. Lässt sich fallen. Mit den Beinen stößt sie den Koffer auf den Boden. Den Aufprall hört sie noch, bevor sie ihre Augen schließt.

Reha, Tag 8

Ihre Fußsohlen brennen. Die nun bereits dritte Nordic-Walking-Einheit war anstrengend. Der Trainer meinte, das wäre nur am Anfang so, weil die Bewegungen neu für sie waren. Es wird nicht besser werden. Es ist nicht ihre erste Reha, es ist bereits ihre vierte. Sie liegt auf dem Bett und starrt zur Decke. Bloß eine Stunde Zeit, um sich zu erholen, dann steht Wassergymnastik auf dem Plan. Wassergymnastik, wiederholt sie innerlich und seufzt. Sie hofft, es käme zu keinem unangenehmen Zwischenfall, so wie zwei Jahre zuvor. Diese Leichtigkeit, mit der ihr Körper im Wasser schwebt, die fehlt ihr an Land, wo sie sich eher wie ein Walfisch vorkommt oder ein Seelöwe, der sich mit Watschelbewegungen ungelenk fortbewegt. Dieses Wanken von links nach rechts, wenn sie geht, sieht aus, als hätte sie einige Biere intus. Auf der Straße wurde ihr auch von Fremden vorgeworfen, eine Alkoholikerin zu sein. Sie trinkt nie, aber die Menschen interessiert das nicht. Genauso wenig, wie die Schwierigkeit, morgens aus dem Bett zu kommen, weil sich ihr Körper bleischwer anfühlt. Obwohl sie nicht übergewichtig ist. Im Gegenteil, sie ist zu dünn für ihre Größe, trotzdem kann sie ihr Gewicht kaum tragen. Aber im Wasser, da wird alles so leicht. Sie kann ihre Beine bewegen, schmerzfrei und nach allen Seiten drehen. Das Wasser kühlt zudem ihre brennende Haut. Sie liebt es. Deshalb hat sie bei der Aufnahme gelogen. Eher etwas verschwiegen. Eine Sache beim Aufnahmebogen einfach nicht angekreuzt. Es wird alles gut gehen. Sie stellt sich den Wecker. Falls sie einschlafen sollte, wird der Wecker sie rechtzeitig daran erinnern, zum Pool zu gehen, wie die letzten Male. Den Badeanzug hat sie schon an. Alles wird leicht werden. Sie schließt die Augen und denkt an das Meer. Sehnsucht. Sie sieht sich selbst lachend im Meer stehen und winken. Ihre Locken werden vom Wind verwirbelt. Der Bikini gibt den Blick auf ihren Bauch frei, der sich wölbt. Mit verhangenem Blick streicht sie darüber und hört den Mann ebenfalls lachen. Das Glück ist greifbar und wärmt das Herz. Doch sie weiß, dies ist nur ein Vexierbild aus alten Tagen ist, beinahe wie ein vergilbtes Foto in einer verstaubten Schuhschachtel. Nie wieder würde es so sein. Nie wieder annähernd. Zum Klang des Wellenrauschens schläft sie ein. Eine einzelne Träne rinnt dabei über ihre Wange. Das Auge weint dem Glück nach.

Reha, Tag 30

Die Massage ist angenehm. Es hat vier Wochen gedauert, bis sie sich darauf einlassen konnte. Anfangs hat sie sich mehr verspannt. Es war seltsam, einem Fremden den Rücken zuzudrehen. Eine Vertrauensangelegenheit. Und Vertrauen ist etwas, das ihr fehlt. Zu oft wurde sie enttäuscht.

Der Masseur ist älter und sehr ruhig. Es drückt nicht, sondern rüttelt, seine Finger liegen leicht auf. Die Verspannungen lösen sich. Die schmerzhaften Muskelkrämpfe sind schon weniger geworden. Zu Hause würde alles wieder beginnen, nach nur wenigen Tagen. Weil sich dort niemand um sie kümmert. Der Alltag mit all seinen Verpflichtungen würde sie wiederhaben. Auf sich selbst achten, ein Luxus. Unerschwinglich. Drei Kinder, ein Hund, zwei Katzen und die Wohnung würden sie auf Trab halten. Nach der Reha erwarten bestimmt alle, dass es ihr super geht. Dass sie belastbarer ist als zuvor. Als würde die Reha dazu führen, dass ihre Krankheit verschwindet. Aber dass sie die Krankheit wieder mit nach Hause nimmt, daran denkt einfach niemand. Am wenigsten ihr Mann, der jedes Mal murrt, wenn er sich frei nehmen muss. Sie ist im Urlaub. Er muss die Kinder hüten und sie kann es sich schön machen. So stellt er sich das vor. Urlaub. Hier?

Sie lacht bitter und blickt sich im Aufenthaltsraum um. Jeden Tag muss sie mit ansehen, was die Krankheit aus den Menschen macht. Sie ist zum dritten Mal hier. Kennt einige schon. Wer vor drei Jahren noch gehen konnte, sitzt plötzlich im Rollstuhl. Wer noch Arbeit hatte, ist jetzt in Rente. Und viele Frauen haben keinen Ehemann mehr.

Sie überlegt, warum Männer mit Krankheiten nicht umgehen können. Alle kranken Männer, die hier sind, werden von ihren Frauen und Freundinnen liebevoll umsorgt und umhegt. Keiner wurde verlassen.

Bei den Frauen ist sie einige der wenigen, die noch verheiratet ist. Sie sieht, wie die anderen Frauen sie beneiden, ohne zu wissen, dass man auch mit Ehemann an seiner Seite zutiefst einsam sein kann. Dass man auch zu zweit total alleine sein kann. Mit seinen Ängsten, seinen Sorgen, seinen Gefühlen.

Sie wissen nicht, wie es ist, angesehen zu werden wie ein zerbrochenes Spielzeug. Etwas, das man eigentlich in den Müll schmeißen soll, aber das zu teuer war, dass man sich davon trennen kann. Man kann es kleben, aber es wird nicht mehr das gleiche Spielzeug sein.

Sie wissen nicht, wie es ist, unter Druck gesetzt zu werden, endlich gesund zu sein. Endlich wieder so zu sein, wie damals, als man geheiratet hat. Schön, schlank, sportlich und stark.

Und dass es doch so einfach wäre, man müsse nur endlich hinausgehen und laufen oder ins Gym gehen. Er habe gelesen, wie toll sich Sport auf MS auswirke. Was nicht drin steht ist, wie schwer es ihr schon fällt, in der Früh aufzustehen und die Arme zu heben, geschweige denn die Beine. Dass sie schon todmüde ist, wenn sie die ersten Bewegungen des Tages ausführt. Die anderen wissen nicht, dass man ständig das Gefühl hat, nicht gut genug zu sein. Man glaubt, schuld zu sein an der Unzufriedenheit dieser anderen, denen du nie genug bist.

Nie genug sein wirst. Die sie anschreien, warum sie dieses oder jenes nicht gemacht hat. Und die sie nicht sehen. Nicht wirklich. Dass es in der Seele weh tut, wenn niemand sieht, was sie Tag für Tag leistest. Denn für sie ist alles eine Leistung, was für andere normal ist. Die Toilette zu putzen, etwas zu kochen, Müll wegzuräumen, den Boden zu kehren. All diese Tätigkeiten fühlen sich für sie an, als müsse sie täglich den Mount Everest besteigen oder ein Haus bauen oder einen Triathlon bestehen.

Für sie ist es zu viel, für andere stets zu wenig.

Und da ist im Hinterkopf diese Angst, was passiert, wenn es schlimmer wird.

Diese schon verlassenen Frauen wissen das alles nicht. Und sie weiß nicht, wie es ist, verlassen zu werden. Kann sich aber nicht vorstellen, dass sie sich sehr viel trauriger fühlen wird als jetzt. Die Traurigkeit sitzt tief in ihr. Über alles, was sie verloren hat.

Sie würde nie weggehen.

Nicht in diesem Leben.

Und da sitzt er ihr gegenüber mit seinen wachen und sanften Augen und sagt ihr, wie schön sie ist. Und sie weint. Weil ihr das schon Jahre lang niemand mehr gesagt hat. Und weil sie merkt, dass er es ehrlich meint.

Der Psychologe weiß das alles nicht. Auch er ist nur ein gesunder Mann. Er kann nicht in ihren Schuhen gehen.

Niemand kann das. Aber er mit den Samtaugen gibt ihr zumindest heute das Gefühl, sie komplett zu verstehen und sie zu sehen. Nicht ihren Körper, nicht ihre Krankheit, sondern das, was sie ausmacht. Er sieht ihre Seele.

Und für den Moment fühlt es sich gut an.

Reha, letzter Tag

Sie packt ihren Koffer. Fühlt sich schwer und kann kaum atmen. Als wäre ein festes Band um ihren Körper gewickelt und würde sich bei jeder Bewegung weiter zuziehen. Sie spürt jetzt schon die Enge ihres Zuhauses. Dieser Käfig der Unzulänglichkeit, in dem sie nur der Vogel mit dem gebrochenen Flügel ist. Während andere um sie herum schillern.

Grau in Grau wird jeder Tag vorübergehen. Begleitet von den Blicken des unzufriedenen Ehemanns und der ständig fordernden Kinder.

Ihr Magen drückt.

Rasch rennt sie ins Bad und übergibt sich. Nur noch eine Stunde und er wird sie abholen. Am liebsten würde sie sich im Turnkeller verkriechen, unter den Matten oder hinter den Geräten. Sie lacht. Als ob sie niemand finden würde.

Sie schließt den Koffer und geht in den Kunstraum, den sie die letzten Wochen lieben gelernt hat. Ihr Bild steht mitten im Raum. Es zieht sie an. Alles darauf. Eine Verheißung und ein Traum. Menschenleere Natur, Wasser, Farne, Berge und Blumen. Niemand, der über sie richtet. Die Natur beurteilt nicht, sie unterscheidet nicht, sie ist einfach.

Vollkommen in ihrer Unvollkommenheit. Kein Baum gerade, nicht jedes Blatt ohne Makel. Kein Bachbett ohne Unebenheit. Kein Berg gleicht dem anderen.

Hier darf sie sein, wer sie ist und wie sie ist. Wird eins mit allen Lebewesen und zart getragen und geborgen.

Das Bild trägt ihre Sehnsucht nach außen. Es wertet nicht.

Es bildet den Wunsch ihrer Seele ab, dass niemand von ihr fordert, perfekt zu sein. So wie das niemand von der Natur erwartet. Und trotzdem wird sie geliebt und geschätzt.

Einfach, weil sie ist.

Nach der Reha

Das Leben besteht aus Packen. Auspacken, Einpacken, Umpacken, Entpacken, Zupacken, Verpacken, Packen.

Jahrelang hat sie als Reiseleiterin die Koffer gepackt, immer und immer wieder. Sie hat es geliebt.

Und jetzt steht sie hier im Schlafzimmer und ihre Arme greifen mehrmals ins Leere. Sie ist wieder zu Hause. Und doch fühlt es sich nicht wie zu Hause an.

Schweigend hat er sie gefahren. Gleich gesagt, dass sie morgen wieder alleine mit den Kindern ist. Sofort ins kalte Wasser springen. Kein Ausruhen nach der Reha.

Es war doch Urlaub. Ein Urlaub mit einem straffen Sportprogramm. Ihre Muskeln brennen, ihre Fußsohlen stechen bei jedem Schritt. Sie ist müde. Die Uhr zeigt erst 13 Uhr. Ihr ist nach Weinen zumute. Die Tür fliegt auf. Jakob springt auf das Bett. Spring nicht so, sagt sie, aber er hört nicht auf. Der Koffer hüpft. Unterhosen fallen heraus, Shirts auch. Jakob, spring nicht, sagt sie erneut. Aber er singt laut und hüpft weiter herum. Christine hört es und tut es ihm nach. Sie halten einander an den Händen und hüpfen singend auf dem Bett herum. Ihr Kopf dröhnt. Die Kinder flattern auf und nieder, ihre Augen haben Mühe, ihnen zu folgen.

Sie ruft nach ihm. Er solle die Kinder von ihr fernhalten, bis sie fertig ist. Du warst sechs Wochen weg, brüllt er zurück, ohne zu kommen, die freuen sich doch nur.

Ihre Freude ist eingeschränkt. Sie liebt die Kinder, aber immer öfter sind sie ihr zu viel, zu laut, zu fordernd. Ihre Kräfte reichen nicht mehr für den ganzen Tag. Bestenfalls für Stunden.

Warum begreift das niemand hier? Sie entfaltet langsam ihren Gehstock. Er ist mit bunten Blumen bemalt. Im Art-Déco-Schick. Schlurfend geht sie nach unten. Der Koffer ist ihr nun egal.

Er sitzt vor dem Fernseher. Schön, dass du endlich kommst, um etwas zu kochen, sagt er, ohne sie anzusehen.

Kochen. In dieser Hitze beim Herd stehen. Jetzt bei 40 Grad Außentemperatur? Warum ich, fragt sie.

Weil du lange genug Auszeit hattest, antwortet er.

Sie steht eine Weile vor dem Kühlschrank, der halb leer ist. Er hat ihn nicht aufgefüllt, bevor sie nach Hause gekommen ist. Sie wird morgen auch noch Einkaufen fahren müssen. Keine Gnade. Es war doch Urlaub.

Wie wichtig es für einen Rehaerfolg ist, danach noch mindestens zwei Wochen Schonung zu haben, weiß er nicht mehr. Oder er hat nicht zugehört. Eine Familienhelferin bekommen sie dieses Jahr nicht mehr. Die acht Wochen waren schon ausgereizt, als sie wegen dem letzten Schub im Spital war.

Sie geht zwischen dem Herd und dem Spülbecken hin und her. Dreht schließlich das Wasser auf und kühlt ihre Unterarme und hält auch den Kopf darunter. Es grüßt das Uthoff-Syndrom, jedes Jahr wieder. Jedes Jahr kämpft sie darum, dass ihre Familie versteht und jedes Jahr verliert sie.

Ich höre noch nichts brutzeln, ruft er von der Couch aus. Sie trocknet ihr Gesicht und holt ihr Handy aus der Tasche. Ruft den Pizzadienst an. Es ist ihr egal, dass er maulen wird, dass sie schon wieder nicht kocht. Es ist ihr egal, dass er meckern wird, wie sie mit dem Geld umgeht. Es ist ihr egal, dass er sagen wird, dass Pizza ihrer Figur nicht gerade zuträglich ist. Sie legt das Geld auf das Highboard neben der Eingangstür. Dann verlässt sie das Haus. Setzt sich ins Auto, dreht die Klimaanlage bis zum Anschlag auf und fährt. Im Rückspiegel sieht sie noch, wie er wutentbrannt zur Tür hinausrennt und ihr hinterherschreit.

Sie dreht die Musik laut auf – »I can’t get no satisfaction« –, klopft den Takt auf das Lenkrad und gibt Gas. Sie will nur noch zu ihm.

Die Autorin

Jennifer B. WindJennifer B. Wind: „Rückwirkend betrachtet dürfte ich 1998 meinen ersten Schub gehabt haben, der aber nicht als MS-Schub erkannt wurde. Erst 2001 wurde zum ersten Mal der Verdacht geäußert, der erst 2007 – nach einem großen Schub, bei dem ich fast mein Augenlicht verloren hätte – bestätigt wurde. 2009 musste ich meinen Beruf als Flugbegleiterin schließlich aufgeben.“

Die Bestseller-Autorin schreibt Krimis, Thriller und Romane für Jugendliche und Erwachsene und ist regelmäßig auf den Bestsellerlisten in Deutschland und Österreich vertreten. Sie hat zahlreiche Drehbücher, Th eaterstücke und preisgekrönte Kurzgeschichten veröffentlicht, schreibt für die „Presse am Sonntag“ und „Kids Krone“ und fördert als Jury-Mitglied verschiedener Literaturfestivals junge Autoren.

In ihrer Freizeit betreibt die ehemalige Flugbegleiterin mit Klavier-, Gesangs- und Schauspielausbildung gerne Sportarten mit Nervenkitzel, züchtet Orchideen und zeichnet.

www.jennifer-b-wind.com

„Maske der Schuld“ gewinnen

Wir verlosen drei signierte Exemplare der „Maske der Schuld“. Bitte schreiben Sie eine E-Mail mit dem Betreff „Buchverlosung“ an office@msges.at und geben Ihren Namen und Ihre Adresse bekannt. Ihre Daten werden ausschließlich für die Verlosung verwendet.