Neues zu Siponimod und Alemtuzumab

Der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA (CHMP) hat von 11. bis 14. November 2019 getagt und sieben neue Arzneimittel zur Zulassung empfohlen – u.a. das Arzneimittel Siponimod für Menschen mit sekundär progressiver Multipler Sklerose.

Gehirn-Modell, Foto: Robina Weermeijer, Unsplash

Das Arzneimittel Siponimod (Handelsname Mayzent®) erhielt vom Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA eine positive Stellungnahme zur Behandlung von Erwachsenen mit einer aktiven sekundär progressiven Multipler Sklerose (SPMS), bei denen durch Rückfälle oder bildgebende Merkmale eine entzündliche Aktivität nachgewiesen wurde.

Am 14. November 2019 verabschiedete der Ausschuss für Humanarzneimittel ein positives Gutachten mit der Empfehlung, die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Mayzent® zur Behandlung von Erwachsenen mit sekundärer progressiver Multipler Sklerose (SPMS) mit aktiver Krankheit zu empfehlen. Mayzent wird in Form von 0,25 mg- und 2 mg-Filmtabletten erhältlich sein. Der Wirkstoff von Mayzent®, Siponimod, ist ein selektives Immunsuppressivum (ATC-Code: L04AA42), das als Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptor-Modulator fungiert. Siponimod bindet selektiv an zwei von fünf Rezeptoren für S1P – nämlich S1P1 und S1P5. Indem Siponimod als funktioneller Antagonist der S1P1-Rezeptoren von Lymphozyten wirkt, verhindert es das Austreten von Lymphknoten, reduziert die Rezirkulation von T-Zellen in das Zentralnervensystem und begrenzt die zentrale Entzündung.

Siponimod zielt darauf ab, das Fortschreiten der Behinderung bei Menschen mit aktiver SPMS zu verringern. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Bluthochdruck und erhöhte Leberenzymwerte. Der Ausschuss empfiehlt, dass das Medikament von Ärztinnen und Ärzten verordnet wird, die Erfahrung in der Behandlung von Multipler Sklerose haben. Detaillierte Empfehlungen für die Verwendung dieses Produkts werden in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels (Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels) beschrieben, die im Europäischen Öffentlichen Beurteilungsbericht (EPAR) veröffentlicht und nach Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen von der Europäischen Kommission in allen Amtssprachen der Europäischen Union zur Verfügung gestellt wird.

Sollte Siponimod zugelassen werden, handle es sich um die erste und einzige orale Behandlung, die speziell für Menschen mit SPMS in Europa zugelassen ist, erklärte Novartis am 15. November in einer Aussendung.

Siponimod (PDF)

Ergebnis der Überprüfung von Alemtuzumab

Nach Abschluss der Sicherheitsbewertung durch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) veröffentlichte der Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) Empfehlungen zu Alemtuzumab (Lemtrada ®), die die vorübergehenden Sicherheitsmaßnahmen vom April 2019 ersetzen und empfiehlt, die Anwendung von Alemtuzumab aufgrund von Berichten über seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen, einschließlich Todesfälle, auf Personen zu beschränken, die unter mindestens einem anderen MS-Therapeutikum weiterhin Krankheitsaktivität zeigen oder von einer rasch fortschreitenden schubförmigen Multiplen Sklerose (definiert durch zwei oder mehr Schübe mit Behinderungsprogression in einem Jahr und mit einer oder mehr Gadolinium-anreichernden Läsionen in der MRT des Gehirns oder mit einer signifikanten Erhöhung der T2-Läsionen im Vergleich zu einem kürzlich durchgeführten MRT) betroffen sind.

Der monoklonale Antikörper Alemtuzumab ist seit 2013 für die Behandlung der aktiven schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose zugelassen und wird in Form in zwei Zyklen mit jeweils fünf bzw. drei Tagen im Abstand von einem Jahr infundiert. Wird die Erkrankung nach dem zweiten Zyklus neuerlich aktiv, sind werden ein dritter und vierter Zyklus in Erwägung gezogen. Die bislang dokumentierten unerwünschten Ereignisse betreffen die Zeit wäh­rend der Infusion und kurz danach bzw. die bis zu vier Jahre, in der sich das Immunsystem wieder aufbaut. In dieser zweiten Phase können sekundäre Immunphänomene auftreten.

Kontraindikationen

Alemtuzumab darf nicht mehr bei Personenmit bestimmten Herz-, Kreislauf- oder Blutungsstörungen oder bei Vorliegen anderer Autoimmunerkrankungen als der Multiplen Sklerose eingesetzt werden. Der Pharmakovigilanzausschuss empfiehlt zudem neue Maßnahmen zur Erkennung und Bewältigung schwerwiegender Nebenwirkungen wie Herz-Kreislaufstörungen und immunbedingter Störungen, die durch ein nicht ordnungsgemäß funktionierendes körpereigenes Abwehrsystem verursacht werden.

Alemtuzumab (PDF)

Neubewertung durch krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose

Der Vorstand des krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) hat mittlerweile auch die Anwendung von Alemtuzumab neu bewertet und wies in seiner Stellungnahme vom 3. Dezember 2019 darauf hin, dass die schwerwiegenden Ne­benwirkungen von Alemtuzumab insgesamt selten aufgetreten sind. Dem KKNMS sind weltweit etwa 45 Fälle von bislang 22.000 Behandelten bekannt.

Die aufgetretenen Nebenwirkungen betreffen zwei Phasen der Therapie: zum einen die Zeit während der Infusion und kurz danach, zum anderen die Zeit, in der sich das Immunsystem wieder aufbaut und in der – bis zu vier Jahre – sekundäre Immunphänomene auftreten können. Die zum Teil tödlichen Nebenwirkungen umfassen innerhalb von drei Tagen nach Infusion auftretende, schwerwiegende Herz- und Lungengefäßschäden (einschließlich Lungenblutungen, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Zervikalarteriendissektionen), neue immunvermittelte Beschwerden (wie Autoimmunhepatitis, Hämophagozytische Lymphohistiozytose) sowie schwere Neutropenien.

Damit Nebenwirkungen, die nach der Alemtuzumab-Infusion auftreten können, erkannt und umgehend behandelt werden können, sollte die Therapie mit Alemtuzumab in einem Krankenhaus mit Spezialistinnen und Spezialisten sowie und der Möglichkeit einer intensivmedizinischer Behand­lung erfolgen. Darüber hinaus dürfe Alemtuzumab bei Personen mit bestimmten Herz-, Kreislauf- oder Blutungsstörungen sowie jenen mit anderen Autoimmunerkrankungen als der Multiplen Sklerose zum Einsatz kommen.

Prof. Dr. Bernhard Hemmer, stellvertretender Vorsitzender des KKNMS und Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Klinikums rechts der Isar der TU München erklärt: „Viele Patientinnen und Patienten sind sicherlich aufgrund der schwerwiegenden Nebenwirkungen verunsichert, ob sie eine Therapie mit Alemtuzumab beginnen oder fortführen sollen. Mit ihnen gilt es, eine umfassende und genaue Nutzen-Risiko-Analyse vorzunehmen.“ Insbesondere müsse dabei das Risiko für Herz-, Kreislauf- oder Blutungsstörungen abgeklärt werden und Therapiealternativen vergleichend in Betracht gezogen werden. Mehr denn je müsse dabei im Blick behalten werden, dass Alemtuzumab eine irreversible Therapieentscheidung mit regelmäßigen Nachkontrollen von mindestens vier Jahren nach Abschluss der Behandlung bedeutet.

Bislang eher unklar sei, wie mit Personen umgegangen werden soll, die bereits Alemtuzumab erhalten. Im April 2019 hatte die EMA erklärt, dass Patienten, die bereits mit Alemtuzumab behandelt werden und davon profitieren, die Therapie nach Rücksprache mit ihrer Ärztin bzw. ihrem Arzt und unter Beachtung verschiedener körperlicher Symptome, die auf eine schwere Nebenwirkung hindeuten, fortführen (siehe oben). „Ob eine Umstellung auf andere Präparate bereits nach dem ersten Zyklus erfolgen sollte, ist derzeit nicht klar. Das Risiko für das Auftreten sekundärer Autoimmunität besteht bereits nach dem ersten Zyklus und hängt mit diesem wesentlich zusammen. Allerdings bringt jede Infusion das Risiko infusionsassoziierter Reaktionen mit sich. In diese Kategorie zählen die seltenen Dissektionen von Blutgefäßen“, führt Wiendl weiter aus. Infusionsassoziierte Nebenwirkungen sind bereits Stunden bis Tage nach der Infusion zu erwarten, sekundäre Autoimmunität kann bis zu vier Jahre nach der letzten Infusion auftreten. Daher ist eine umfassende Aufklärung des Patienten zwingend erforderlich.

Sollte sich nach dem zweiten Alemtuzumab-Zyklus erneut Krankheitsaktivität zeigen, das Medikament hat aber die Erkrankung vorher gut stabilisiert, muss im Lichte der neuen Empfehlungen zwischen einer Umstellung sowie einer erneuten Infusion unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung mit dem Patienten abgewogen werden. „In Anbetracht der möglichen Nebenwirkungen ist ein Wechsel zu einem anderen Medikament nach erfolgtem zweiten Alemtuzumab-Zyklus zu erwägen, auch wenn Studiendaten zeigen, dass mit weiteren Infusionen prinzipiell noch das Ziel einer permanenten Erkrankungsremission zu erreichen ist“, so Wiendl.

Falls eine Umstellung von Alemtuzumab auf eine andere verlaufsmodifizierende MS-Therapie vorgenommen wird, sollte der Sicherheitsabstand vor Beginn einer neuen Therapie, wie im KKNMS-Qualitätshandbuch empfohlen, wegen der langanhaltenden Wirkungen auf das Immunsystem mindestens sechs bis 12 Monate betragen. Die im Qualitätshandbuch empfohlenen Kontrollen, die aus demselben Grund bis zu vier Jahre nach dem letzten Alemtuzumab-Zyklus durchgeführt werden müssen, sollen in jedem Fall eingehalten werden: Blutbild, Kreatinin + GFR, CRP und Urinstatus müssen monatlich kontrolliert werden, eine klinische Untersuchung und die Überprüfung des TSH-Werts sollten vierteljährlich, ein MRT jährlich erfolgen.

Quelle: European Medicines Agency, Kompetenznetz Multiple Sklerose, Novartis