Invalidität hinauszögern oder verhindern

Eine wirksame Therapie in der Anfangs- und Frühphase der Multiplen Sklerose verhindert eine Kostenexplosion in der Spätphase.

Geldscheine, Münzen, Medikamente und Stethoskop, Credit: Myriams-Foto, Pixabay

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger spricht sich für eine Strategie aus, mit der die Invalidität von Menschen mit Multipler Sklerose möglichst hinausgezögert oder bestenfalls verhindert wird. Die möglichst optimale Versorgung bringt nämlich neben persönlichen Vorteilen für die Betroffenen selbst auch gesundheits- und gesamtwirtschaftliche Vorteile mit sich.

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Credit: MedUni Innsbruck

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Credit: MedUni Innsbruck

Die Wirksamkeit der medikamentösen Therapien akuter MS-­Schübe hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Mit der neuen Generation von Medikamenten können mittlerweile rund 80 Prozent der Betroffenen schubfrei leben. Dabei gehen neue Behandlungsformen vor allem mit einer besseren Lebensqualität über einen deutlich längeren Zeitraum einher.

Eine in 16 europäischen Staaten, darunter auch Österreich, durchgeführte Studie mit insgesamt rund 16.000 an MS erkrankten Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern belegt, dass eine wirksame frühzeitige Behandlung der Multiplen Sklerose auch ökonomisch einen Vorteil bieten dürfte. An der Studie war auch Univ.­-Prof. Dr. Thomas Berger, stellvertretender Klinikdirektor an der Neurologischen Universitätsklinik der MedUni Innsbruck, federführend beteiligt.

Im Rahmen der Untersuchung wurden Faktoren wie beispielsweise der Gesundheitsstatus, die Art der Beschäftigung, der Pflegebedarf, der medizinische Versorgungsaufwand und die Lebensqualität erhoben. In der österreichischen Teilstudie wurden die Angaben von 517 Probandinnen und Probanden mit einem
mittleren Alter von 53 Jahren analysiert.

Kosten abhängig vom Grad der Behinderung

In der Gruppe der Menschen mit MS, die keinen oder nur einen geringfügigen Behinderungsgrad (EDSS­-Wert 0­3,5) durch die MS-­Erkrankung aufwiesenbetrugen die jährlichen Kosten durch die Erkrankung (Ausgaben für Gesundheitsversorgung mit Arzneimitteln, Arztkonsultationen, Spitalsaufenthalte sowie die indirekten Kosten durch Kranken stand, Invalidität, Frühpensionierung etc.) rund 25.100 Euro.

Bei Menschen mit einer moderaten Behinderung (EDSS 4 bis 6,5; bei 6,5 werden bereits Gehhilfen benötigt) betrugen die jährlichen Gesamtkosten durchschnittlich 44.100 Euro. Eine schwere bis sehr schwere Behinderung (EDSS 7 bis 9) ging bereits mit Jahresgesamtkosten von 73.800 Euro einher.

Therapiekosten

Die Ausgaben für spezifisch gegen die MS wirkende Therapien beliefen sich in der ersten Gruppe (keine bis geringe Behinderung) pro Person auf jährlich 11.860 Euro, in der mittleren Gruppe auf durchschnittlich 9.222 Euro und bei Personen mit der am meisten fortgeschrittenen Erkrankung auf 2.779 Euro.

Gesundheitsbezogene Ausgaben

Die direkten gesundheitsbezogenen Kosten durch die MS betrugen in der Gruppe der kaum Belasteten jährlich 18.358 Euro pro Person, bei den Menschen mit einer moderaten Behinderung 29.224 Euro und bei den am schwersten Betroffen 55.107 Euro.

Indirekte Kosten

Die durch Langzeit­-Krankenstände, Invaliditätsunterstützungen und Frühpensionierung anfallenden Kosten beliefen sich in der ersten Gruppe pro Jahr und Person auf durchschnittlich 6.735 Euro, in der Gruppe der moderat Betroff enen auf 14.924 Euro und bei den am schwersten Betroffenen auf 18.676 Euro.

„Eine effektive Behandlung in den ersten Phasen der Krankheit kann Menschen mit MS die gefürchtete Invalidität ersparen und zahlt sich auch gesundheits- und gesamtökonomisch aus.“
Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger

Invalidität hinauszögern oder verhindern

Berger plädiert für eine Strategie, mit der die Invalidität von Menschen mit MS möglichst hinausgezögert oder bestenfalls verhindert wird. Dafür sind aber noch viele andere Aktivitäten nötig, die den Betroff enen zugutekommen. So hat die Umfrage ergeben, dass in ganz Europa – auch in Österreich – offenbar viel zu wenige Menschen mit MS weiterhin ihren Beruf ausüben können. Berger zufolge ist – auch bei einem nur leichten Behinderungsgrad (EDSS 3) – lediglich die Hälfte der MS­Betroffenen berufstätig. Dies liegt nicht zuletzt auch an der „Fatigue“ (krankheitsbedingter Ermüdbarkeit) und/oder kognitiven Problemen.

MS-Therapieregister

In Österreich besteht seit 2006 ein MS-­Therapieregister, in dem die Daten von mittlerweile über 4.000 MS-­Betroffenen enthalten sind. Mit diesem Register soll die Qualität der Behandlung gesichert werden. Berger spricht sich dafür aus, diese Informationen gemeinsam mit den Kostenträgern zu nützen, damit alle Menschen mit MS die optimale, individuelle Behandlung erhalten und die Kosten weiterhin von den Krankenkassen beziehungsweise den Spitälern übernommen werden.

Management of multiple sclerosis patients in central European countries: current needs and potential solutions
Thomas Berger, Monika Adamczyk-Sowa, Tünde Csépány, Franz Fazekas, Tanja Hojs Fabjan, Dana Horáková, Zsolt Illes, Eleonóra Klimová, Fritz Leutmezer, Konrad Rejdak, Csilla Rozsa, Saša Šega Jazbec, Jarmila Szilasiová, Peter Turcáni, Marta Vachová, László Vécsei, Eva Havrdová
Therapeutic Advances in Neurological Disorders, vol. 11, First Published February 22, 2018.

New insights into the burden and costs of multiple sclerosis in Europe: Results for Austria
Thomas Berger, Gisela Kobelt, Jenny Berg, Daniela Capsa, Mia Gannedahl, The European Multiple Sclerosis Platform
Multiple Sclerosis Journal, vol. 23, 2_suppl: pp. 17-28., First Published June 23, 2017.

Kerstin Huber-Eibl, Quelle: ÖGN