Internationaler Kongress „MSPARIS2017“

Highlights vom Joint ECTRIMS – ACTRIMS Meeting 2017

Logo: 7th Joint ECTRIMS – ACTRIMS Meeting 2017 in Paris

Eröffnungsvortrag von Prof. Lassmann

Den Eröffnungsvortrag hielt der 1949 geborene Doyen der MS-Forschung, Univ. Prof. Dr. Hans Lassmann vom Zentrum für Hirnforschung an der Medizinischen Universität Wien. In diesem gab der Vorstands-Vorsitzende der Multiple Sklerose Forschungsgesellschaft vor mehr als 10.000 Fachpersonen einen generellen Überblick über die Pathologie der Multiplen Sklerose und stellte dar, welche Schlüsse die Forschenden daraus hinsichtlich der Krankheitsmechanismen und auch bereits existierender und möglicher zukünftiger Therapien gezogen haben.
In seinem Vortrag mit dem Titel „Von der Neuropathologie zu neuen pathophysiologischen und klinischen Perspektiven“ beschrieb Lassmann die Neuropathologie als Mitteldisziplin, die molekulare Forschung mit der klinischen Forschung zusammenbringt und dementsprechend für das Verständnis von Erkrankungen besonders bedeutsam ist.

Kortikale Läsionen:
Herde in der Hirnrinde können zum Teil neurologische Ausfälle auslösen

In einem Teaching Course strich der Neuropathologe den Aspekt der lange übersehenen Schädigungen im Kortex hervor. Durch die Beforschung der Hirnrinde in den letzten zehn bis 15 Jahren ließen sich wesentliche Erkenntnisse zu den Krankheitsmechanismen gewinnen. „Davor ist man davon ausgegangen, dass die Multiple Sklerose lediglich zu Herden in der weißen Substanz des Gehirns führt“ erklärte Lassmann.
Heute weiß man, dass die Schädigungen im Kortex zum Teil sehr extensiv sein können und für die klinische Präsentation der von Multipler Sklerose betroffenen Menschen von sehr wichtiger Bedeutung sind. Dies kann sowohl bei mit Multipler Sklerose zusammenhängenden kognitiven Problemen als auch bei neurologischen Ausfällen bedeutsam sein.

Bildgebende Verfahren verbessern

„Auch mit den modernsten Scanning-Methoden sehen wir nur die Spitze des Eisbergs“, bedauert Lassmann. Aus diesem Grund treibt er die Forschung auf dem Gebiet der bildgebenden Verfahren voran und macht sich für die Verbesserung der Sensitivität kernspintomografischer Techniken stark, damit bislang nicht sichtbare Läsionen bei lebenden Menschen in der Hirnrinde dargestellt werden können, die für Diagnose und Prognose von Multipler Sklerose wesentlich sind.

Portrait Univ. Prof. Dr. Hans Lassmann, Foto: Kerstin Huber-Eibl

Österreichweiter Zusammenschluss in der MS-Forschung

Lassmann wies im Gespräch mit der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien darauf hin, dass die Multiple Sklerose Forschungsgesellschaft derzeit ein Projekt finanziert, das die an den Kliniken in Wien, Graz und Innsbruck durchgeführte Forschung mit jener des Instituts für Hirnforschung an der Medizinischen Universität Wien und der kernspintomografischen Institute bündelt und in ein österreichweites Projekt integriert. Man versucht dabei, die Erkenntnisse der Basisforschung auf die klinische Anwendung umzulegen. Dabei handelt es sich laut Lassmann um eine enorm wichtige Initiative, die in weiterer Folge auch zu verbesserten bildgebenden Verfahren im Sinne der klinischen Anwendung an Patientinnen und Patienten führen wird. Darüber hinaus wurden in einer breit angelegten Studie Biomarker entwickelt, die zur Diagnostik von Multipler Sklerose herangezogen werden können.

Tests in vivo halten noch lange nicht jenen in der Pathologie stand

„Wir wissen bereits, dass winzige Läsionen unter optimalen Scanning-Bedingungen erfasst werden können. Allerdings stehen wir noch vor der Herausforderung, diese Bedingungen in die in-vivo-Situation zu übertragen“, so Lassmann. Noch steht keine Technik zur Verfügung, mit der die Herde bei lebenden Personen nachgewiesen werden können. Es liegen aber bereits Daten über Versuche mit Hochfeld-Kernspintomografie vor, mit denen sich winzige Läsionen bereits wesentlich besser als mit üblichen bildgebenden Verfahren darstellen lassen. Allerdings ist dies derzeit lediglich mit Gehirnen Verstorbener möglich, die man über einen Zeitraum von 16 Stunden mit einem 7-Tesla-Scanner untersucht.

Auch wenn dieser Vorgang derzeit bei lebenden Menschen unmöglich ist, zeigt dies die prinzipielle Möglichkeit der Erfassung von Läsionen. Nun muss die Sensitivität der Kernspintomografen so verbessert werden, dass sich mit kürzeren Scanning-Zeiten und in vivo anwendbaren Scanning-Sequenzen Läsionen messen lassen.

Schadenskaskade: Mitochondriale Schädigung bei Multipler Sklerose

Lassmann ging in seinem Vortrag auch darauf ein, welche Schlüsse man aus den kortikalen Läsionen über die Mechanismen der Gewebeschädigung ziehen kann.

Von primärer Bedeutung ist die Entzündung durch die T- und D-Lymphozyten, welche wahrscheinlich aufgrund einer Autoimmunreaktion die Multiple Sklerose vorantreiben. Man geht derzeit davon aus, dass das Gehirn durch eine Abwehrreaktion manche Gehirnareale als fremd erkennt und eine Entzündung initiiert. Dieser „Startmechanismus“ bewirkt eine Aktivierung der Mikrogliazellen, der sogenannten Fresszellen des Gehirns, welche wiederum sogenannte Sauerstoffradikale produzieren.

„Sauerstoffradikale können Zellen ganz besonders schädigen, vor allem die Mitochondrien“, erklärte Lassmann. Beschädigte Mitochondrien sind ebenfalls in der Lage, zusätzliche Sauerstoffradikale zu bilden. Dieser sich selbst amplifizierende Prozess führt in einer Art Schadenskaskade immer weiter zu Schädigungen.

Gehirnschädigung in der progredienten Phase

Die Multiple Sklerose ist in der frühen Phase gut behandelbar – wenn auch mit Nebenwirkungen. Antientzündliche Therapien für die schubförmige Krankheitsphase greifen in das Immunsystem ein und zeigen im Frühstadium teilweise sehr gute Ergebnisse, indem sie den Krankheitsprozess wesentlich verlangsamen und die Auswirkungen so im Zaum halten können.

In der progredienten Phase der Multiplen Sklerose wirken manche antientzündliche Therapien noch geringgradig, zeigen aber mit der Zeit einen immer geringeren Effekt. Deshalb ist es bedeutsam herauszufinden, wie es in der späten Krankheitsphase zur Schädigung des Gehirns kommt.

Perspektiven der MS-Forschung

Der MS-Experte erklärte die Wichtigkeit der Suche nach Faktoren, die eine Entzündungsreaktion mit massiver Schädigung von Sauerstoffradikalen und Mitochondrien zusammenbringen. Hier gibt es einen Hinweis auf lösliche entzündliche Mediatoren, die von B-Lymphozyten produziert werden. Derzeit wird daran geforscht, diese zu identifizieren.

Aktuell werden in experimentellen Studien Therapien entwickelt, die in die zuvor beschriebene Schadenskaskade eingreifen. Manche potentielle Therapeutika haben bereits den Weg in klinische Studien mit Probandinnen und Probanden gefunden, die sich in der progredienten Phase der Multiplen Sklerose befinden. Aktuell werden Substanzen wie beispielsweise hochdosiertes Biotin, Simvastatin, Natriumkanalblocker erforscht, die allerdings hinsichtlich ihrer Wirkung auf die progrediente Phase der Multiple Sklerose validiert werden müssen.

„Derzeit befinden wir uns in einer ähnlichen Situation wie die Forschung vor 20 bis 30 Jahren, als die ersten Interferone für die MS-Therapie entdeckt wurden. Damals ließ sich die schubhafte Phase um 20 bis 30 Prozent verringern. Heute befinden wir uns bereits in der Situation, dass sich die schubhafte Phase um bis zu 90 Prozent reduzieren lässt.“
Prof. Lassmann

Die derzeit durchgeführten Phase 2-Studien für die progrediente Phase der MS zeigen zwar einen Benefit, dieser ist allerdings noch sehr gering. Die Daten aus diesen Studien stimmen dennoch optimistisch, auch wenn die Ergebnisse großer Phase 3-Studien abzuwarten sind, um den Effekt dieser Substanzen beurteilen zu können.

Interview: Kerstin Huber-Eibl