Wie beeinflusst Stress die Multiple Sklerose?

Seit der Erstbeschreibung der Multiplen Sklerose im 19. Jahrhundert existieren Fallberichte von Patientinnen und Patienten, die nach einer psychischen Stresssituation eine Verschlechterung ihrer Erkrankung beklagten. Seither wird vermutet, dass Stress Schübe auslösen kann. Andererseits neigen MS-Betroffene dazu, nach dem Auftreten eines Schubes eine Begründung dafür zu suchen, was zu einer Überinterpretation solcher fraglichen Auslöser führen könnte (unter dem Motto: „Wenn ich nur lang genug nachdenke, fällt mir schon etwas ein, was den Schub ausgelöst haben könnte“).

Uneinheitliche Stress-Definition

Ein anderes Problem besteht darin, dass die Definition von Stress nicht einheitlich ist. Während manche Menschen Stress empfinden, wenn sie morgens in die Arbeit fahren, ist dies bei anderen der Fall, wenn der Urlaub schon zu lange dauert und die Langeweile überhandnimmt. Begriffe wie positiver und negativer Stress spiegeln diesen Widerspruch auch in der Alltagssprache wider.

Stresshormone attackieren das Immunsystem

Dass Stress krankmachen kann, wird schon seit mehr als tausend Jahren vermutet. Man weiß heute, dass sogenannte Stresshormone (zu denen auch das, in der Schubtherapie verwendete, Kortison gehört) direkt in das Immunsystem eingreifen. Eine wichtige Rolle dürfte dabei jedoch die Dauer und die Intensität des Stressors spielen. So führte eine chronische Stressbelastung bei gesunden Versuchspersonen (Trennung, Einsamkeit, Depression und andere) zu einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit, während wiederholte, kurze Stressepisoden eher resistent gegen Erkrankungen machten.

Studien, die den Einfluss von Stress bei Patientinnen und Patienten mit MS untersucht haben, sind selten und methodisch schwierig durchzuführen. Dementsprechend sind die Ergebnisse auch uneinheitlich: So konnte eine Studie bei Menschen, deren Kind unerwartet verstorben war, ein erhöhtes Schubrisiko nachweisen. Andererseits war die Schubrate von MS-Betroffenen, die während des Golfkrieges in Israel Raketenangriffen ausgesetzt waren, sogar geringer als jene in einer Kontrollgruppe.

Zusammenfassend könnte man also vermuten, dass chronische Stressbelastung, aus der man keinen Ausweg sieht und die ein Gefühl der Überforderung erzeugen, den Erkrankungsverlauf negativ beeinflusst könnten. Kurz dauernder Stress (wenn etwa in der Arbeit wieder mal alles drunter und drüber geht) dürfte dagegen keine negativen Auswirkungen auf die Erkrankung haben.

Stressige Situationen bewältigen

Nachdem aber MS-Betroffene vor allem zu Beginn, wenn ihnen die Diagnose mitgeteilt wird, einem längerem Stress ausgesetzt werden, kann es hier besonders wichtig sein, Techniken zu erlernen, um diese Situationen besser bewältigen zu können. Denn erst Stress, der von der betroffenen Person als nicht kontrollierbar empfunden wird, führt zu Überforderungsgefühlen und kann so das Immunsystem im Hinblick auf die MS negativ beeinflussen. Kontrollierbarer Stress dagegen und sehr viel mehr noch positiver Stress, der als Herausforderung empfunden wird und somit das Selbstwertgefühl stärkt, hat keine negative Auswirkung auf den Verlauf der Erkrankung.

Neben der Frage „Wie beeinflusst Stress die MS?“ beantwortet Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer in der Broschüre der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien weitere 24 Fragen zur Multiplen Sklerose.

Den medizinischen Leitfaden „Multiple Sklerose. 25 Fragen und Antworten“ erhalten Sie im MS-Zentrum für Beratung und Psychotherapie.