Orange the World: Ein Gespräch mit dem Verein Ninlil über Gewaltprävention und Unterstützung für Frauen mit Behinderungen
Anlässlich der UN-Kampagne „Orange the World“ möchten wir auf eine oft übersehene Problematik aufmerksam machen: die Gewalt, die Frauen, Trans-, Inter- und Nicht-Binäre-Personen mit Behinderungen, einschließlich solcher mit MS, erfahren.
Jedes Jahr am 25. November steht die Welt im Zeichen von „Orange the World“, einer Kampagne, die auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam macht und sich für deren Beseitigung einsetzt. Besonders Frauen mit Behinderungen, einschließlich MS, sind oft mehrfach belastet – durch die alltäglichen Herausforderungen ihrer Behinderungen und durch das erhöhte Risiko als Frau, Gewalt und Diskriminierung zu erfahren. MS, eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, betrifft Frauen etwa dreimal häufiger als Männer und stellt eine zusätzliche Belastung dar, die oft mit gesellschaftlichen und gesundheitlichen Hürden einhergeht.
In einem Gespräch mit Raina Hofer vom Verein Ninlil werfen wir einen Blick auf die spezifischen Herausforderungen, denen diese Frauen* ausgesetzt sind, und erfahren, wie der Verein ihnen mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten zur Seite steht. Die Arbeit von Ninlil setzt sich insbesondere dafür ein, strukturelle Barrieren zu überwinden und Selbstbestimmung sowie Prävention zu fördern, um gegen Gewalt und Diskriminierung anzukämpfen.
Was macht der Verein Ninlil?
Raina Hofer: Ninlil bietet zwei Hauptangebote: Die Peer-Beratungsstelle Zeitlupe Beratung von Frauen mit Behinderungen für Frauen mit Behinderungen und die Fachstelle Kraftwerk, die sich gegen sexualisierte Gewalt an Frauen* mit Lernschwierigkeiten richtet. Das Ziel des Vereins ist es, Frauen zu empowern, sie über ihre Rechte aufzuklären und ihnen Unterstützung in schwierigen Situationen zu bieten.
Welche speziellen Risiken bestehen für Frauen mit Behinderungen?
Raina Hofer: Frauen mit Behinderungen erleben häufig mehr Gewalt, insbesondere sexualisierte Gewalt. Abhängigkeiten von Unterstützungspersonen und die gesellschaftliche Marginalisierung von Menschen mit Behinderungen erhöhen das Risiko, dass ihre Rechte missachtet werden. Besonders betroffen sind Frauen mit Lernschwierigkeiten, die oft verkindlicht wahrgenommen werden und deren Sexualität nicht anerkannt wird.
Welche Formen von Gewalt sind besonders relevant?
Raina Hofer: Neben der physischen und sexualisierten Gewalt sind auch institutionelle und ökonomische Formen von Gewalt von Bedeutung. Zu den institutionellen Barrieren gehören fremdbestimmte Lebensstrukturen, die die Selbstbestimmung einschränken. Ökonomische Gewalt äußert sich oft in der finanziellen Abhängigkeit u.A. durch fehlende Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt, oder fehlendes Gehalt der geleisteten Arbeit in Tagesstrukturen.
Wie unterstützt Ninlil Frauen in schwierigen Situationen?
Raina Hofer: Der Verein bietet eine freiwillige Beratung, bei der Frauen ernst genommen und auf Augenhöhe angesprochen werden. Unsere Beratungen und Workshopangebote stellen Frauen*, ihre Bedürfnisse und ihre momentane Befindlichkeit in den Mittelpunkt. Das ist ein wichtiger Ausgangspunkt für einen bestärkenden Austausch und weiteres Empowerment der betroffenen Menschen. Auch Informationsmaterial in einfacher Sprache wird bereitgestellt, um die Zugänglichkeit zu ermöglichen.
Können auch Frauen mit MS bei euch Unterstützung erhalten?
Raina Hofer: Frauen mit MS können sich natürlich an uns wenden. Sie erhalten hier Unterstützung, die auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Was sind die wichtigsten Maßnahmen, um Gewalt zu bekämpfen?
Raina Hofer: Die Enttabuisierung von Sexualität und sexualisierter Gewalt sowie die Förderung von Selbstbestimmung sind zentrale Forderungen. Jeder Mensch, unabhängig von seinen Fähigkeiten, hat gemäß der seit 2008 in Österreich ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention das Recht, selbstbestimmt über sein Leben und seine Entscheidungen zu bestimmen.
Welche Botschaft möchten Sie zum „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ senden?
Raina Hofer: Es ist wichtig, dass Frauen wissen, dass sie nicht allein sind und Unterstützung bekommen können. Gewalt darf nicht verschwiegen werden – es muss darüber gesprochen werden, um die Strukturen zu verändern, die Gewalt begünstigen.
Wie kann jede*r Einzelne zur Gewaltprävention beitragen?
Raina Hofer: Indem Menschen mit Behinderungen als gleichwertige Erwachsene wahrgenommen werden, Sexualität offen angesprochen werden kann und Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ermöglicht wird. Auch die Schaffung von sicheren Räumen, in denen Frauen ihre Rechte und ihre Sexualität leben können, ist essenziell.
Ninlil bietet eine wichtige Anlaufstelle für Frauen, die Unterstützung und Beratung benötigen. Wer mehr über die Angebote erfahren möchte, kann den Verein direkt kontaktieren.