Benachteiligung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher

Obwohl sich viele engagierte Pädagoginnen und Pädagogen um chronisch kranke Kinder und Jugendliche bemühen, gibt es an etlichen Bildungseinrichtungen nach wie vor viele Vorbehalte. Nun fordern Expertinnen und Experten sowie Eltern betroffener Schülerinnen und Schüler bessere Rahmenbedingungen.

Schülerinnen sitzt vor einem Buch und sieht traurig aus, Credit: PublicDomainPictures, Pixabay

An etlichen Bildungseinrichtungen gibt es nach wie vor viele Vorbehalte gegen chronisch kranke Schülerinnen und Schüler. Die Plattform „chronisch_konkret“ fordert bessere Rahmenbedingungen.

Schätzungen zufolge sind in Österreich zumindest 190.000 Schülerinnen und Schüler von einer chronischen Erkrankung betroffen. Obwohl sich die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert haben, stehen Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern vor großen Herausforderungen. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion der 2016 von AbbVie und dem Haus der Barmherzigkeit ins Leben gerufenen Plattform „chronisch_konkret“ berichteten Betroffene am 12. November 2018 in Wien von ihren Erfahrungen. Bei der Veranstaltung sicherten Familienministerin Juliane Bogner-Strauß, Volksanwalt Peter Fichtenbauer und Lehrergewerkschafter Paul Kimberger zu, sich für bessere Rahmenbedingungen für chronisch kranke Kinder und Jugendliche einzusetzen.

Neue Haftungsregelung für Lehrerinnen und Lehrer

Den Startschuss für die Verbesserung der Sitation von Kindern und Jugendlichen mit einer chronischen Erkrankung machte 2014 die Bürgerinitiative betreffend gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder. 2015 wurde eine Enquete zum Thema abgehalten, die geforderte Ausweitung der Amtshaftung wurde schließlich 2017 beschlossen.

Dr. Lilly Damm, Gesundheitswissenschaftlerin am Zentrum für Public Health der MedUni Wien, erklärte bei der Podiumsdiskussion, dass Pädagoginnen und Pädagogen, die chronisch kranke Kinder im Unterricht unterstützen, seitdem „rechtlich auf der sicheren Seite“ stünden, die Republik übernehme die Haftung.

„Kinder mit chronischen Erkrankungen sind in den Schulen nach wie vor benachteiligt“.
Dr. Lilly Damm

Damm schlägt drei Maßnahmen vor, um diese Diskriminierung zu beseitigen:

  1. Adäquate Erste-Hilfe-Ausbildung mit regelmäßigen Auffrischungen für alle Lehrpersonen
    Derzeit müssten angehende Pädagoginnen und Pädagogen lediglich den Erste-Hilfe-Kurs der Führerscheinprüfung nachweisen. Doch an Schulen werde auch anderes benötigt: So müssten Lehrerinnen und Lehrer wissen, was beispielsweise bei einem epileptischen Anfall zu tun sei. „An jeder Schule haben wir zumindest ein Kind mit aktiver Epilepsie“, so Damm.
  2. Bewusstseinsbildung für chronische Erkrankungen in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen
    Untersuchungen würden ganz klar zeigen, dass chronisch kranke Kinder bei gleicher kognitiver Begabung im Durchschnitt schlechtere Noten bekommen. Von manchen Lehrerinnen und Lehrern werde den Kindern nicht einmal geglaubt, wenn sie beispielsweise von Schmerzen berichten. Durch uninformiertes Verhalten werde Damm zufolge Kindern geschadet, und zwar sowohl im Bildungs- als auch Krankheitsverlauf.
  3. Assessments bei der Aufnahme chronisch kranker Kinder und Jugendlicher an Schulen
    Als ehemalige Bundesschulärztin weiß Damm: „Für Eltern chronisch kranker Kinder gleicht die Schulsuche einer Herbergssuche. Manche Schulen lehnen chronisch kranke Kinder ab, weil sie befürchten, sie nicht adäquat betreuen zu können. Es würde schon helfen, wenn sich Eltern, Lehrerinnen und Lehrer mit Schulärztinnen und Schulärzten bei der Aufnahme an einen Tisch setzen und folgende Punkte abklären würden: Was kann das Kind selbst, und welche Unterstützung braucht es darüber hinaus? Auch müsse abgeklärt werden, welche Unterstützung die Schule benötige.
Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (Erste Reihe, 3.v.l.), Volksanwalt Peter Fichtenbauer (3.v.r.), Lehrergewerkschafter Paul Kimberger (2.v.r.) und Wissenschafterin Lilly Damm (1.v.r.) diskutierten mit Betroffenen über die Situation von chronisch kranken Kindern. Hier am Bild: Vertreterinnen und Vertreter der Patientenorganisationen „Österreichische Morbus Crohn-Colitis ulcerosa Vereinigung“, „Österreichische Vereinigung Morbus Bechterew“, „Österreichische Rheumaliga“, „PSO austria“ und „Rheumalis“ sowie „Myelom & Lymphomhilfe Österreich“

Dr. Peter Fichtenbauer, der als Volksanwalt unter anderem für Kindergärten, Schulen und Universitäten zuständig ist, erklärte, es sei inakzeptabel, wenn Kinder an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. In einem reichen Land wie Österreich müsse es möglich sein, auch chronisch kranken Kindern die uneingeschränkte Teilnahme an Schule und Bildung zu ermöglichen. Feichtenbauer zufolge fehle es bereits in der pädagogischen Ausbildung an einer Sensibilisierung, darüber hinaus herrsche an vielen Schulen ein Mangel an medizinischem Personal.

Paul Kimberger, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und  -lehrer kritisierte, dass es zu wenig medizinisches „Supportpersonal“ an den Schulen gebe, weshalb mehr von den Lehrerinnen und Lehrern abverlangt werde. „Anfang der 1990er-Jahre haben die Schulen die ersten Integrationsklassen eingeführt, jetzt stehen wir vor der Herausforderung der Inklusion. Allerdings ist dieser Weg noch lange nicht abgeschlossen und muss auch gesamtgesellschaftlich mitgetragen werden. Die Erfahrung zeigt, dass die Probleme chronisch kranker Kinder noch zu wenig ernst genommen werden“, so Kimberger.

BM Dr. Juliane Bogner-Strauß, Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend, sicherte zu, sich innerhalb der Bundesregierung für die Anliegen chronisch kranker Kinder und Jugendlicher stark zu machen: „Die Plattform chronisch_konkret bringt Betroffene, Expertinnen und Experten mit der Politik zusammen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Dieser Dialog ist wichtig und soll auf jeden Fall gemeinsam fortgeführt werden. Dafür werde ich mich in der Bundesregierung einsetzen“, so die Ministerin.

Quelle: OTS